Dr. Max Steigmann

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Familie Steigmann
Adresse: Afritschgasse 30, IV. Lend, 8020 Graz
Dr. Max Steigmann
geb. 2. November 1895 in Kuty (damals Russ. Polen)
Flucht 1939 über Italien nach Uruguay
gest. im Jahr 1974 in Montevideo (URY)
Pauline Steigmann
geb. 1903
Verblieb bis zum Lebensende in Graz
gest. 30. Mai 1984; beigesetzt in Gratkorn
Kurt Steigmann
geb. 4. Februar 1930
Emigration 1952 nach Uruguay, dann Brasilien
Foto Christian Michelides (M. Steigmann)

Foto: Christian Michelides. Quelle: wikipedia

Der jüdische Arzt Dr. Max Steigmann, geboren am 2.11.1895 in Kuty (West-Ukraine, damals Polen), lebte mit seiner Frau Pauline, geboren im Jahr 1903, und dem gemeinsamen Sohn Kurt, geboren am 4.2.1930, in einer Wohnung in der Afritschgasse 30 und hatte dort auch seine Ordination. Laut einer Zeitzeugin war Dr. Steigmann nicht nur ein sehr beliebter Arzt, sondern hatte auch eine sehr ausgeprägte soziale Ader. Nach Auskunft seines Sohnes Kurt Steigmann wurde er, da er nicht zahlungsfähige Patienten kostenlos behandelte, auch „Armenarzt“ genannt.

In seiner Wohnung in der Afritschgasse gingen Künstler, Schriftsteller und andere Intellektuelle ein und aus wie der Grazer Maler Karl Wiener, der Maler, Grafiker und Illustrator Axl Leskoschek, und die Schriftsteller Roda Roda und Ulrich Becher (der Dr. Steigmann auch in seinem autobiografisch geprägtem Roman “ Die Murmeljagd“ erwähnt hat).

Während der Novemberpogrome wurde Dr. Steigmann von Mitgliedern der SA aus seiner Wohnung gezerrt, zusammengeschlagen und in ein Lager gebracht. Sein Sohn Kurt Steigmann erinnert sich an diese Nacht folgendermaßen:

„In der Pogromnacht holte mich meine Mutter plötzlich aus dem Bett, trug mich und bettete mich im Wohnzimmer auf das Sofa, und ich sah da junge Menschen in schwarzer Uniform und glänzenden Stiefeln –sie gingen ins Schlafzimmer. Dann hörte ich Schreien und Stöhnen und verstand als 8-Jähriger natürlich gar nichts.

Sie verprügelten meinen Vater, verletzten ihn durch Stiefeltritte im Gesicht und zuletzt nahmen sie ihn mit .

Zusammen mit anderen Juden brachte man sie zu einem Teich in einem Vorort von Graz alle mussten ins eiskalte Wasser, ohne sich umzusehen. Dann hörte man Motorgeräusche und die SSler zogen ab .Am frühen Morgen kam Dr. Steigmann wieder in die Afritschgasse, aber bevor seine Wunden heilten, holte man ihn wieder und er kam nach Dachau.”
(aus einem E-Mail von Kurz Steigmann an den Verein für Gedenkkultur).

Nach Kurt Steigmanns Erinnerungen rettete ihn im Konzentrationslager Dachau ein fehlender Buchstabe, das „I”, sein Leben: “Er wurde als STEGMANN eingetragen und dann mit einem „arischen“ (d.h. nicht-jüdischen) Stegmann verwechselt und nach einigen Monaten entlassen.”

Kurt Steigmann schreibt weiters:

“Bevor man ihn wieder holte, flüchtete er nach Italien und kam von dort nach Uruguay, Montevideo, wo er langsam zuerst eine Ordination für andere Emigranten und dann eine allgemeine Ordination eröffnete. Zugleich war er Arzt im großen Armenhospital Pereira Rossel, wo er auch bald zum Assistenten von Prof. Rodrigues Lopes ernannt wurde und 35 Jahre lang jeden Morgen Polyklinik für das arme Volk machte – 35 Jahre ohne Bezahlung!  Das war seine erwähnte soziale Arbeit. Er lebte sparsam und konnte daher alle 2 Jahre reisen – (er) kannte die ganze Welt. 1973, nach Behandlung von 24 Patienten in der Poliklinik, bricht er bewusstlos zusammen, und seine Kollegen konstatierten einen fortgeschrittenen Krebs im Magenbereich. Sie operierten ihn sofort – zu spät. Er kam zu mir in São Paulo und einige Monate später brachte ich ihn nach Hause nach Montevideo – er wollte daheim sterben. Er starb in seinem geliebten Hospital Pereira Rossel im Jahre 1974.”

Die Familie Steigmann hatte sich bereits im Laufe des Jahres 1938 offiziell getrennt – das Ehepaar Steigmann ließ sich im selben Jahr scheiden. Auch in der Religionszugehörigkeit gab es eine Divergenz, da sich Pauline Steigmann und Sohn Kurt zur Altkatholischen Kirche bekannten.

Zur Trennung erläutert Kurt Steigmann: „Die Scheidung von Mutter und Vater kurz vor den Pogromen (im Nov. 1938) wurde von beiden beschlossen, um uns das Überleben zu erleichtern – es war eine Formalität. Auch die Taufe zum altkatholischen Ritus geschah nur, damit ich die Frage ‘Religion’ beantworten konnte.”

Frau Pauline Steigmann blieb im Haus und verstarb am 30.5.1984. Sie liegt in Gratkorn begraben. Kurt Steigmann wanderte 1950 nach Brasilien aus.

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Foto: Egon Lauppert

Max Steigmann lebte seit 1939 in Montevideo (Uruguay) und kam nach Kriegsende im Oktober 1948 zwischenzeitlich nach Graz zurück; wohnte zumindest kurz wieder im Haus Afritschgasse 30 und ging schlussendlich wieder zurück nach Montevideo. Zu dieser Zeit wurde ihm bewusst, dass es kein Zurück zum alten Leben mehr geben konnte. Dennoch besuchte er auch in späterer Zeit Pauline Steigmann in der Steiermark und scheint 1963 ein letztes Mal in Graz gewesen zu sein.

An Flucht und Enteignung des Vaters und an Krieg und Kriegsende erinnert sich Sohn Kurt Steigmann heute:

„Nach der Flucht meines Vaters und der Enteignung alles Wertvollen in unserem Besitz (Röntgenapparat und andere medizinische Geräte, Klavier, Teppiche etc. etc. schneiderte meine Mutter zuhause Blusen u.a. für große Kaufhäuser; und ehemalige Patienten meines Vaters halfen uns indirekt bei neuen Razzias – diejenigen, die amtlich arbeiteten, ignorierten unsere Abstammung – ich konnte sogar weiter zur Schule gehen, bis die Bombengefahr das Gymnasium nach Admont verlegte – dort hatte ich keine Hilfe; die Hitlerjugend und die Partei kontrollierten das Schülerheim. Eines Tages kommandierte mich der Naziprofessor Vodopiutz den nächsten Morgen in sein Zimmer – starb aber in derselben Nacht. Da stieg ich auf mein Fahrrad, Koffer hinten drauf und ‘haute ab’ in die Afritschgasse.

Kurz vorher wurde die Marschallschule ausgebombt [Anm.: in unmittelbarer Nähe des Wohnhauses in der Aftritschgasse], und durch ein Loch in der Wand, im Keller, konnten wir zwei Kellerräume erreichen, die von außen durch Bombenschaden nicht zugängig waren. Die Räume waren als Luftschutzkeller mit Betten ausgestattet – und da versteckten wir uns, hatten aber Zugang in die Wohnung, in der wir uns währen der Stunden aufhielten, in denen keine Razzias standfanden.

Der Krieg ging zu Ende – das tausendjährige Reich war gerade am Anfang das siebenten Jahres – und wir hörten im Versteck den englischen Sender.

Eines Tages – sehr früh am Morgen – hörte ich da ‘…wird Winston Churchill sprechen.’. Hoppla – er sagte, dass er seine nächste Rede erst halten wird, wenn der Krieg aus ist!!!! Wir klebten am Radio und hörten da, dass es wirklich aus ist!!!!

Ich laufe aus dem Keller – ins Stiegenhaus Afritschgasse 30 und schreie glücklich: “DER KRIEG IS AUS, MEINE LEUT!”

Die Nachbarin Parterre links kam geraus und fragte: “Wer hattn gwunnen?” Und die Hausfrau […] sagt : “Des is a Lug und amerikanische Propaganda”.

Ich lauf in die Stadt – Richtung Hauptplatz und sehe die österreichische Fahne in der Murgasse, wo unter dem bekannten Kaufhaus der Sitz der Widerstandskämpfer war.

1948 wollte mich der Vater nach Montevideo mitnehmen – ich fuhr mit ihm bis in die Schweiz, wo es ein uruguaisches Konsulat gab – dann überlegten wir es uns besser – ich sollte erst mal meine Studien beenden und ich kam wieder heim nach Graz.

Abitur in Judenburg – dann [habe ich] in Rosenheim studiert und 1952 nach Montevideo – zu meinem Vater und nach einem Jahr nach Brasilien, wo ich mit 30 Jahren heiratete und nach weiteren 46 Jahren Witwer wurde.

Ich war in der Zwischenzeit einige Male in Graz – als Mutter noch lebte, wohnte ich bei ihr. Vor 4 Jahren bin ich dann von São Paulo weg[gezogen] – diese Metropole ist nicht mehr gut für reife Leute.“

[Zitate aus dem E-Mail-Verkehr mit Kurz Steigmann im September und Oktober 2014]

Kurt Steigmann war auch nach 1945 regelmäßig in Graz, immer wenn es die Zeit erlaubte, v.a. in den Semesterferien oder bei Feiertagen. Er besuchte hier regelmäßig seine Mutter, bis er im Jahr 1952 nach Südamerika emigrierte.

 

Jüdische Opfer



Dr. Max Steigmann

Afritschgasse 30