Familie Loewi
Otto Loewi wurde 1873 in Frankfurt am Main geboren. Nach seiner Schulzeit studierte er Medizin an der Universität Straßburg und promovierte 1896 in seinem Spezialfach Pharmakologie. Anschließend sammelte er erste berufliche Erfahrungen am Landeskrankenhaus in Frankfurt und an der Universität Marburg an der Lahn. Dort habilitierte er sich im Jahr 1900 bei seinem Lehrmeister Hans Horst Meyer.
Seine Frau Guida Henriette Loewi wurde 1888 unter ihrem Mädchennamen Goldschmiedt in Wien geboren. Alle, die sie kannten, bewunderten ihre feine, gebildete Art und die Würde, mit der sie alle späteren Härten ertrug. Otto und Guida heirateten am 5. April 1908 in Graz. Die Ehe der beiden wird in allen Quellen ausnahmslos als glücklich bezeichnet. Gemeinsam hatten sie vier Kinder: 1909 wurde der erste Sohn Hans geboren, 1911 ihre Tochter Anna Amalia. 1913 kam der Viktor auf die Welt, 1915 der jüngste Sohn Guido.
Ab 1904 arbeitete Loewi in Österreich, zuerst in Wien und ab 1909 in Graz, wo er einen eigenen Lehrstuhl für Pharmakologie bekam. Schon bei seiner Berufung nach Graz gab es Widerstände seitens der Grazer Medizinischen Fakultät, weil Loewi sich zu seinem Judentum bekannte und sich nicht, wie viele andere Beamte jüdischen Glaubens, um das berufliche Fortkommen zu sichern, taufen lassen wollte. Loewi war zwar kein besonders gläubiger Mensch, aber dennoch stolz auf seine jüdische Herkunft, so war er in Graz auch Mitglied mehrerer Organisationen wie der B’nai B’rith-Loge oder der Jüdisch-Akademischen Vereinigung. Die Ausübung der Religion spielte in der Familie hingegen keine große Rolle, die Synagoge wurde nicht besucht – hingegen gab es zu Weihnachten sogar einen Christbaum. Otto Loewi bezeichnete sich als„deutschsprachiger Kosmopolit jüdischer Herkunft“, seine Haltung zur Assimilation beschrieb er folgendermaßen: „Alles was zählt, ist, dass der Assimilationsprozess gewisse Grenzen haben muss und dass Würde und Selbstachtung erhalten bleiben.“
Die Villa der Loewis in der Johann-Fux-Gasse im Grazer Bezirk Geidorf war als Zentrum eines gepflegten, geselligen Zusammenseins sehr beliebt. Neben Kollegen waren auch immer wieder Künstler, Musiker und Industrielle bei Guida und Otto zu Gast. An der Universität war Loewi neben seiner Tätigkeit als Forscher auch ein sehr engagierter Lehrender, von seinen Studenten wurde er als milder Prüfer und ausgezeichneter Redner charakterisiert. Neben seiner Familie und dem Institut war der Schlossberg Loewis Lieblingsplatz in Graz, mehrmals in der Woche spazierte er hinauf und nutzte diese Gelegenheit für Gespräche mit Kollegen oder auch, um mit seinen Kindern gemeinsame Zeit zu verbringen. Hatte Loewi anfangs noch Bedenken, die Großstadt Wien zu verlassen, so lernte er das kleinere, aber sehr lebendige Graz so sehr lieben, dass er bis zu seiner Vertreibung blieb.
Loewi war ein Pionier, der sich mit seinen Studien über Stoffwechsel, das vegetative Nervensystem, Nierenfunktion, Kationenwirkung, Digitalis, Diabetes Mellitus und andere physiologische und pharmakologische Bereiche einen Namen machte. Er arbeitete an der Wirkung von Drogen auf ein isoliertes Froschherz und führte einfache Tests durch, die letztlich zur Entdeckung der chemischen Übertragung von Nervenimpulsen zu Erfolgsorganen führte. In Loewis Grazer Zeit fiel auch die Verleihung des Nobelpreises für Physiologie und Medizin 1936, den er gemeinsam mit Henry Dale für die Entdeckung der chemischen Übertragung der Nervenwirkung verliehen bekam.
Nach dem „Anschluss“ Österreichs an Deutschland wurde der mittlerweile 65-jährige Loewi für zwei Monate in „Schutzhaft“ genommen und danach bedrängt, das Land zu verlassen: Schon in der Nacht vom 11. auf den 12. März 1938 wurde er im Zuge einer nationalsozialistischen Verhaftungswelle prominenter Repräsentanten des austrofaschistischen Ständestaates und prominenter Juden inhaftiert. Loewi schrieb in seinen Erinnerungen, dass er sich dem Ausmaß der politischen Entwicklungen bis zu diesem Zeitpunkt nicht vollständig bewusst gewesen wäre. Besonders schockiert war er in jener Nacht darüber, dass unter den Gestapo-Leuten auch ein Sohn eines Kollegen von der Universität dabei war. Loewi wurde noch während seiner „Schutzhaft“ im Zuge der Gleichschaltung der Universitäten beurlaubt und in den vorzeitigen Ruhestand versetzt.
Vorher wurde er noch dazu gezwungen, das Preisgeld für den Nobelpreis vom Konto einer schwedischen Bank zu einer solchen, die von den Nationalsozialisten kontrolliert wurde, zu überweisen. Erst dann wurde ihm die Emigration nach London gestattet.
Im September gelang ihm schließlich völlig mittellos die Flucht nach England, an der Universität Oxford und anschließend an der Universität Brüssel in Belgien wirkte er während des Krieges als Gastprofessor. 1940 nahm er schließlich das Angebot der New York University an und übersiedelte in die USA, 1946 erhielt er die amerikanische Staatsbürgerschaft.
Guida wurde ebenfalls enteignet und musste 1938 unfreiwillig nach Wien verziehen, wo sie sich Ende September für längere Zeit von ihrem Mann trennen musste. Vorerst konnte sie nicht ausreisen, da die Nationalsozialisten am Besitz ihrer Eltern in Triest interessiert waren und die Enteignungs-Formalitäten von diesem länger dauerten. Drei Jahre lang lebte sie in überfüllten Unterkünften in Wien unter ständiger Angst, deportiert zu werden. Erst 1941, nach Ablegung eines Armutseides, konnte sie ihrem Mann in die USA folgen, nachdem sie mit zahlreichen Schwierigkeiten zu kämpfen hatte, um die Ausreisegenehmigung sowie Visa für diverse Länder zu bekommen. Schlussendlich fand sie ihren Fluchtweg über Portugal und Argentinien in die Staaten.
Obwohl Guida und Otto Loewi nochmals, auch finanziell, von null auf starten mussten, fühlten sie sich in den Vereinigten Staaten sehr wohl und Otto genoss es, bis ins hohe Alter wissenschaftlich tätig sein zu können. Guida starb am 31. Juli 1958. Otto Loewi folgte ihr am 25. Dezember 1961.
Wie ist es unterdessen den Kindern der beiden ergangen?
Viktor konnte noch am 16. Juli sein Medizinstudium abschließen, musste allerdings eine Verzichtsleistung zur Ausübung des Berufes versprechen. Er und sein Bruder Guido wurden 1938 zusammen mit ihrem Vater verhaftet, konnten aber nach ihrer Freilassung – sie wurden drei Wochen nach Otto entlassen – nach England fliehen. Guido absolvierte eine Ausbildung bei der Royal Air Force und wurde Hauptmann bei der Luftwaffe. Später arbeitete er als Sicherheitsberater für eine amerikanische Baufirma in Südostasien und danach für die amerikanische Botschaft in Bangkok. Er verstarb 2012.
Viktor war zunächst für einen Pharmakonzern in Basel und danach in Buenos Aires tätig. Er starb 1993.
Anna Amalia lebte zum Zeitpunkt des „Anschlusses“ in der damaligen Tschechoslowakei. Sie konnte mit ihrem Mann und ihrem wenige Monate alten Baby in einer jahrelangen Odyssee – über Umwege durch Belgien, Großbritannien und Frankreich – in die USA emigrieren. Dort lebte sie bis zu ihrem Tod im Jahr 2000.
Hans hatte beruflich in Zagreb zu tun und konnte nach Peru bzw. später in die USA fliehen, für die er im Militär diente und gegen die Nationalsozialisten kämpfte. Er starb 2004.
In Graz erhielt Otto Loewi in den 1950er-Jahren verschiedene Ehrungen der Universität, sowie 1959 auch den Ehrenring der Stadt Graz. Persönlich war er aufgrund seines hohen Alters nicht anwesend – er war nach 1945 nur ein einziges Mal nach Österreich, zu einem Kongress in Wien, zurückgekehrt. Allerdings schickte Loewi einen Dankesbrief an die Stadt, in dem er vielsagend meinte: „Ich habe Ihre Stadt von allem Anfang an bis fast zum Ende der rund dreißig dort verbrachten Jahre heiß geliebt.“
Quellen:
Kumar, Victoria: In Graz und andernorts. Lebenswege und Erinnerungen vertriebener Jüdinnen und Juden. Graz 2013.
Löffler, Markus: In Graz wirkende, durch die Nazis vertriebene österreichische Nobelpreisträger. Diplomarbeit, Graz 2012.
Donnerer, Josef / Lembeck, Fred: The chemical languages oft he nervous system. History of scientists and substances. Basel 2006.
Lembeck, Fred / Giere, Wolfgang: Otto Loewi. Ein Lebensbild in Dokumenten. Biographische Dokumentation und Bibliographie. Berlin-Heidelberg 1968.
Schmidt, Elfriede / Weiss, Anna: Nobelpreisträger Otto Loewi…Leben in zwei Welten. Graz 1993.
Mindler, Ursula: Nationalsozialistische Universitätspolitik zur Zeit des „Anschlusses“. Das Fallbeispiel Otto Loewi, in: Blätter für Heimatkunde, hg. vom Historischen Verein für Steiermark, 77. Jg., Graz 2003, S. 89–106.
Hoffmann-Ostenhof, Otto: Otto Loewi, in: Stadler, Friedrich (Hg.): Vertriebene Vernunft, Bd. 2: Emigration und Exil österreichischer Wissenschaft 1930-1940. Wien 2004. S. 702-705.
Soukop, Rudolf Werner: Die wissenschaftliche Welt von gestern. Die Preisträger des Ignaz L. Lieben-Preises 1865-1937 und des Richard Lieben-Preises. Ein Kapitel österreichischer Wissenschaftsgeschichte in Kurzbiografien. Wien 2004.
Lembeck, Fred: Nobelpreisträger Otto Loewi, Feier anlässlich der 100. Wiederkehr seines Geburtstages am 5. 6. 1973 in der Aula der Universität. Graz 1973.
https://de.wikipedia.org/wiki/Otto_Loewi
https://www.deutsche-biographie.de/gnd118728881.html#ndbcontent
https://archiv.uni-graz.at/de/geschichte/entlassen-vertrieben-verfolgt/medizinische-fakultaet/
Fotos:
Foto 01: Das Haus in der Johann-Fux-Gasse, in der die Familie Loewi während ihrer Zeit in Graz wohnte / Quelle: Luca Borghi, Himetop – The History of Medicine Topographical Database, Online:http://himetop.wikidot.com/otto-loewi-s-house
Foto 2: Otto Loewi und Henry Dale 1936 in Stockholm, anlässlich der Verleihung des Nobelpreises / Quelle: Wikipedia, Online: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Henry_Hallett_Dale_and_Otto_Loewi_1936.jpg
Foto 3: Porträt von Otto Loewi, 1929 bei einem Kongress in Boston / Quelle: Welcome-Collection, Online:https://wellcomecollection.org/works/n24yhkjr
Foto 4: Ausweis von Viktor Loewi aus seiner Zeit in Buenos Aires / Quelle: Geni, Online: https://www.geni.com/people/Viktor-Loewi/6000000017898972302