Ella Flesch

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HIER ARBEITETE
ELLA FLESCH
JG. 1900
FLUCHT 1933 AUS LEIPZIG
FLUCHT 1938
SCHWEIZ

 

Ella Flesch – kein Platz für eine ‚Nicht-Arierin‘ an der Bühne einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft

Ella Flesch, geboren am 16. Juni 1900 in Budapest, stammt aus einer weit, in der ganzen österreich-ungarischen Habsburgermonarchie verzweigten jüdischen Familie. Über ihre Eltern Desider (Dezsö) und Mathilde (Ilka) Flesch (geb. Hofmeister) ist leider wenig bekannt. Aber schon ihre drei „Onkel“ Dr. Emil Flesch (geb. 1870), Dr. Julius Flesch (1871 bis 1942) und Carl Flesch (1873 bis 1944) waren sehr erfolgreich.[1]

Emil Flesch betrieb zusammen mit seiner Frau Bianca die Apotheke zur „Ungarischen Krone“ in Raab (ung. Györ). Er erfand einen Schwarzwurzelextrakt und vermarktete diesen mit dem Slogan: „Wenn sie an Gicht, Rheuma leiden, experimentieren sie nicht mit Drogen, sondern kaufen Dr. Fleschs Schwarzwurzel“ bis nach Wien und Budapest.

Julius Flesch war praktischer Arzt in Wien und 20 Jahre lang Assistent an der Wiener Poliklinik. Er verfasste verschiedene wissenschaftliche Werke und war Mitglied des wissenschaftlichen Ausschusses des Doktorenkollegiums der Universität Wien und Begründer der Wiener Seminare für die Ausbildung von Wiener Ärzten. Sein bekanntestes Werk: Berufskrankheiten des Musikers. Ein Leitfaden der Berufsberatung für Musiker, Musikpädagogen, Ärzte und Eltern. Celle 1925.[2] Julius Flesch wurde als 70-jähriger am 6. Mai 1942 aus Wien mit dem Transport 19, Zug Da 201 nach Maly Trostinec (Weißrussland) deportiert und am 11. Mai 1942 dort ermordet.[3]

Ella Fleschs zweiter Onkel Carl Flesch war ein berühmter Violinist, Hochschullehrer und Musikschriftsteller und galt als einer der vielseitigsten Musiker und Pädagogen seiner Zeit. Neben weltweiten Konzertreisen hatte Carl Flesch ab 1897 verschiedene Professuren in Bukarest, Berlin, Amsterdam, Philadelphia und Luzern inne und verkehrte sogar am Hof der Königin Elisabeth in London. 1934 kam Flesch seiner Entlassung an der Berliner Musikhochschule zuvor und lebte mit seiner Familie zunächst in London. 1939 übersiedelte Flesch ins niederländische Den Haag in der irrigen Annahme, die Niederlande würden im Kriegsfall neutral bleiben können. 1940 wurden die Niederlande jedoch von der deutschen Wehrmacht besetzt, Flesch und seine Frau mehrmals verhaftet. Er musste den „Gelben Stern“ tragen, durfte offiziell nicht mehr unterrichten und konzertieren.[4] 1942 durfte er mit seiner Frau nach Budapest ausreisen und konnte schließlich 1943 nach Luzern in die Schweiz flüchten, wo er 1944 starb.[5]

Ella Flesch bekam die musikalischen Talente in die Wiege gelegt. Sie studierte zwischen 1915 und 1917 Gesang in Budapest und ging danach für weitere Studien nach Wien und debütierte hier 1922 an der Staatsoper Wien als Aida. 1922-25 sang sie an der Wiener, 1925-30 an der Münchner Staatsoper. Hier übernahm sie anfänglich Koloraturrollen, sogar die Königin der Nacht in der Zauberflöte, wandte sich dann aber dem dramatischen Stimmfach zu und trat als Salome von Richard Strauss, als Venus im Tannhäuser, als Octavian im Rosenkavalier und in vielen anderen Partien auf; u.a. sang sie in München die Aithra in der Premiere der Ägyptischen Helena von R. Strauss. Zwischen 1930-33 war sie am Opernhaus von Leipzig engagiert.[6] Während ihrer beiden Engagements in München und Leipzig konnte Ella Flesch Gastspiele in ganz Europa, wie in London, Paris, Brüssel, Amsterdam, Basel und Zürich absolvieren. Noch in Leipzig tätig wurde Ella Flesch, am 19. Jänner 1933, vom Intendanten des Frankfurter Opernhauses Josef Turnau für zwei Jahre mit einem Jahresgehalt von 16.500 Reichsmark engagiert. Sie sollte die Stelle am 1. September 1933 antreten, dazu kam es jedoch nicht mehr. Josef Turnau, selbst jüdischer Abstammung wurde schon vor der nationalsozialistischen Machtübernahme am 13. März 1933 in Frankfurt in der Presse als „Ostjude“ öffentlich angegriffen und schließlich im Mai 1933 entlassen.[7] Turnaus Nachfolger, der Generalintendant der Städtischen Bühnen Frankfurt Hans Meissner, verlangte von Ella Flesch einen „arischen“ Abstammungsnachweis: „Von Ella Flesch, die erst am 1.9.1933 in den Spielkörper der Oper eintreten sollte, liegt eine positive Erklärung allerdings nicht vor. Sie hat die Beantwortung des ihr zugeschickten Fragebogens umgangen, ist auch sonst auf die Ausschlag gebenden Fragen nicht eingegangen, hat vielmehr immer nur auf ihre künstlerische Beurteilung in den seitherigen Stellungen hingewiesen.“[8] Ella legte gegen die Nichteinhaltung des Vertrages Beschwerde ein. Die Stellungnahme des Magistratsrat der Stadt Frankfurt lautete wie folgt: „Eine Entschädigung für die Auflösung des Vertrages, der noch gar nicht in lauf getreten ist, halten wir nicht für berechtigt. Frl. Flesch, die ohne Zweifel aufgrund ihrer Tätigkeit in Leipzig und im übrigen Deutschland über die Entwicklung der Verhältnisse eingehend unterrichtet war, mußte sich darüber klar sein, daß für sie als ‚Nicht-Arierin‘ an der Bühne einer öffentlich rechtlichen Körperschaft kein Platz mehr ist und konnte sich nach einer anderen Tätigkeit rechtzeitig umsehen.“[9] Ella Flesch musste Deutschland verlassen und nahm für die Spielzeit 1933/34 ein Engagement am Deutschen Theater in Brünn an, bevor sie nach Graz übersiedelte und am Grazer Stadttheater ihre zweijährige Stelle als Sopranistin antrat.

Ella Flesch debütierte im Grazer Opernhaus am 3. Oktober 1934 in der Oper Andrea Chénier des italienischen Komponisten Umberto Giordana und sang als Maddalena di Coigny zwei Arien, darunter die berühmte Arie La mamma morta im 3. Akt.[10] Sie wohnte in Graz ab August 1935 in Sichtweite der Oper in der Burggasse Nr. 17/I.[11] Flesch sang in ihrer ersten Grazer Spielsaison 1934/35 in nicht weniger als zehn Opern, zwei Operetten und einen Kabarettabend, in insgesamt 51 Vorstellungen! Darunter, unter anderen folgende Gesangspartien: die Aida, die Octavia in der Zauberflöte, die Leonore im Lidelio, die Flora Tosca, sowie die Salome. In ihrer zweiten Spielsaison 1935/36 standen wieder zehn Opern und der Zigeunerbaron auf ihrer Spielplanliste (30 Vorstellungen). Auch in ihrer zweiten Spielzeit sang Ella Flesch berühmte Partien: die Senta aus dem Fliegenden Holländer, die Donna Anna aus Don Giovanni, die Leonore aus Il Trovatore, sowie die Lady MacBeth.[12] Häufiger Gesangspartner in Graz war der ebenfalls aus einer ungarisch-jüdischen Familie stammende Bassist Dezsö Ernster (1898 bis 1981). Er musste 1933 Deutschland aufgrund der Rassenpolitik der Nazis verlassen, ging nach Österreich und sang an der Oper Graz zwischen Oktober 1933 und Juli 1937 dutzende Partien.[13]

Programm vom 7. 9.1937 Archiv der Vereinigten Bühnen Graz

Programm vom 7. 9.1937 Salome
Quelle: Archiv der Vereinigten Bühnen Graz


 

In den beiden Spielsaisonen 1936/37 und 1937/38 war Ella Flesch wieder an der Wiener Staatsoper beschäftigt und feierte auch hier beachtliche Erfolge. Im Spielplanarchiv der Wiener Staatsoper finden sich in diesem Zeitraum 19 Opern (95 Vorstellungen), in denen Ella Flesch ihr Können unter Beweis stellen konnte.[14] Einmal kehrte Ella Flesch als Gastsängerin für ihre Paraderolle Salome nach Graz zurück und erlebte am 7. September 1937 auf der Grazer Schlossbergbühne einen letzten Erfolg in dieser Stadt.

Ella Flesch als Salome 1937 Welch ein Augenblick! 100 Jahre Oper Graz, herausg. von den Vereinigten Bühnen Graz, Graz 1999, S. 40

Ella Flesch als Salome 1937
Quelle: Welch ein Augenblick! 100 Jahre Oper Graz, herausg. von den Vereinigten Bühnen Graz, Graz 1999, S. 40


 

Dennoch wurde sie nach dem „Anschluss“ Österreichs aufgrund ihrer jüdischen Herkunft aus dem Ensemble entlassen. Ella Flesch ging in die Schweiz nach Basel und konnte zwei Spielzeiten am dortigen Stadttheater singen, bevor sie zunächst nach Südamerika emigrieren konnte. Ihre amerikanische Karriere begann Ella Flesch bei den Festspielen in Caracas (Venezuela) und schloss anschließend einige Konzerttournees an.[15] Am 15. Jänner 1941 konnte Ella Flesch in der New Yorker Town Hall ihr Debut geben.[16] Ihr Auftritt wurde begeistert in der deutschsprachigen New Yorker „Exilzeitung“  Aufbau  besprochen: „Nun debütierte die Künstlerin in New York auf dem Konzertpodium der Town-Hall. Abermals stand man im Bann einer überlegenen Persönlichkeit, die jedes Detail eines Musikstückes klar und eindeutig gestaltet. Dieses Wissen, auch auf gesangstechnisches erweitert, entscheidet. Denn es gestattet der Künstlerin eine völlige Verwendung ihrer von Natur aus reichen Mittel. So singt sie Hendelarien mit kluger Variation der Register, wobei die Feinheit ihrer Kopftöne auffällt. Diese sorgfältige Behandlung der Stimme lässt auch ihrem Liedgesang Formulierung angedeihen. Hier sprechen Temperament und Liebenswürdigkeit der Künstlerin einflussreich mit.“[17]

Nach dem Zweiten Weltkrieg trat sie an der City Centre Opera New York als Ariadne auf Naxos von Richard Strauss auf und wurde später an die New Yorker Metropolitan Oper berufen. Dort debütierte sie als Salome und hatte dann als Santuzza, als Tosca und in den Sunday Night Concerts des Hauses viel beachtete Erfolge. Leider beendete ein schwerer Autounfall bereits 1948 ihre Bühnenkarriere.[18] Ella Flesch arbeitete danach als Musikpädagogin und starb am 6. Juni 1957 in New York.

Ella Flesch in der Metropolitan 1944 https://www.tamino-klassikforum.at/index.php?thread/18109-ella-flesch-phantom-der-oper/

Ella Flesch in der Metropolitan 1944
Quelle: tamino-klassikforum.at


 

Recherche und Biografie: Heribert Macher-Kroisenbrunner, MA

Quellen:

[1] Die genaue Familiengenealogie lässt sich nicht rekonstruieren und verifizieren. In der Literatur ist immer davon die Rede, dass Carl Flesch der Onkel von Ella Flesch gewesen ist, was jedoch so nicht stimmen kann, da Carl Flesch nur zwei Brüder hatte. Vermutlich handelt es sich bei Emil, Julius und Carl Flesch um Cousins von Desider Flesch.

[2] 2002 wurde ein Julius-Flesch-Institut für Musikergesundheit und Musikermedizin an der Universität Mozarteum in Salzburg gegründet.

[3] https://yvng.yadvashem.org/nameDetails.html?language=de&itemId=4914030&ind=1 [Abruf: 24.2.2020].  Zwischen Mai und Oktober 1942 trafen insgesamt 16 Züge mit mehr als 15.000 Menschen aus Wien, Königsberg, Theresienstadt und Köln in Minsk ein. Entsprechend einer Anordnung des Chefs der Sicherheitspolizei und des SD Reinhard Heydrich wurden die Deportationsopfer sofort nach ihrer Ankunft in der ehemaligen Kolchose Maly Trostinec ermordet. Von den insgesamt etwa 8.700 nach Maly Trostinec deportierten österreichischen Juden – rund 8500 wurden von Wien aus, 136 aus dem Ghetto Theresienstadt dorthin verschleppt – sind 17 Überlebende bekannt.

[4] Carl Flesch war zum evangelischen Glauben übergetreten.

[5] Vgl. Kathinka Rebling: Carl Flesch, in: Lexikon verfolgter Musiker und Musikerinnen der NS-Zeit, Claudia Maurer Zenck, Peter Petersen (Hg.), Hamburg: Universität Hamburg, 2006.

[6]https://web.operissimo.com/triboni/exec?method=com.operissimo.artist.webDisplay&id=ffcyoieagxaaaaabahav&xsl=webDisplay&searchStr=flesch [Abruf: 24.2.2020].

[7] Josef Turnau emigrierte 1939 nach New York und lehrte ab 1946 bis zu seinem Tod im Jahre 1954 am dortigen Hunter College.

[8] Zit. nach Bettina Schültke, Theater oder Propaganda? Die Städtischen Bühnen Frankfurt Am Main von 1933 – 1945, Frankfurt am Main 1997, S. 74.

[9] Ebda.

[10] Diese Arie ist zentraler Bestandteil einer Szene des Films Philadelphia (1993). Die Arie (gesungen von Maria Callas) wird von dem homosexuellen und an AIDS erkrankten Anwalt und Opernliebhaber (gespielt von Tom Hanks) seinem Rechtsanwalt (gespielt von Denzel Washington) mit Kommentaren vorgespielt.

[11] Meldeschein Ella Flesch. Meldeamt Stadt Graz.

[12] Spielplanarchiv der Bühnen Graz. https://archiv.buehnen-graz.com/?search_person_name_2740=Flesch+Ella&search_person_id%5B%5D=2740&search_product_name=&search_from=&search_to=&commit=Suchen&p=1 [Abruf: 24.2.2020].

[13] 1938 reiste Ernster für eine Tournee in die USA und kehrte erst zwei Jahre später nach Ungarn zurück. Im Jahre 1944 wurde er ins KZ nach Bergen-Belsen deportiert. Er war in der Gruppe von 1.683 ungarischen Juden, die durch die Organisation von Rudolf Kasztner in die Schweiz ausreisen konnten. Nach dem Krieg sang er in Basel und anschließend an der Metropolitan Opera, wo er zwischen 1946 und 1963 175 Vorstellungen gab. Danach zog er sich in die Schweiz zurück.

[14] https://archiv.wiener-staatsoper.at/search/person/7350 [Abruf: 24.2.2020]. In Wien sang sie Madeleine, Troubadour-Leonore, Rosalinde, Valentine, Minnie, Senta, Donna Anna und Octavian, aber auch die Aufseherin in „Elektra“, die 3. Norn in der „Götterdämmerung“ und ein Blumenmädchen im „Parsifal“. In der umfangreichen Edition „Wiener Staatsoper live“ des Labels Koch/Schwann tauchte sie mit einer ganz kurzen Szene als Octavian im Finale des “Rosenkavalier“ unter Hans Knappertsbusch vom September 1936 und als Gerhilde in einem Ausschnitt einer von Bruno Walter am 13. Oktober 1936 dirigierten „Walküre“ auf.

[15] Ella Flesch, in: Aufbau, Vol. VI, No. 18 vom 3.5.1940, S. 9 [Sammlung Exilpresse Digital].

[16] Ella Flesch, in: Aufbau, Vol. VII, No. 2 vom 10.1.1941, S. 9 [Sammlung Exilpresse Digital].

[17] Egon Benisch, Konzert Ella Flesch, in: Aufbau, Vol. VII, No. 4 vom 24.1.1941, S. 12 [Sammlung Exilpresse Digital].

[18] Kutsch, K.J./Riemens, Leo: Großes Sängerlexikon. Erster Band: A-L. Bern 1987, Sp. 953.

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