HERTHA
MANDL-NARODOSLAVSKY
GEB. NARODOSLAVSKY
JG. 1923
IM WIDERSTAND (KPÖ)
VERFOLGTEN MENSCHEN GEHOLFEN
VON GESTAPO OBSERVIERT
Der Lebenslauf von Hertha Mandl –Narodoslavsky, zusammengefasst ab 28.11.2002 von mir, Raoul Narodoslavsky, Sohn, aus verschiedenen Anlässen:
HERTHA geboren am 29. April 1923 in Graz, Tochter der Klementine Narodoslavsky, *22.11.1896 + 24.1.1941, ermordet in Hartheim bei Linz im Zuge des „Euthanasieprogrammes T4“ des Nazireiches und des Oskar Kreisler, * 5.6.1881 – + 16.12.1959
Sie wächst in den wirtschaftlichen Nöten der Weltwirtschaftskrise und der Krisen der 1. Republik auf, Kontakte zu SP-nahen Kinder/ Jugendorganisationen wie Kinderfreunde, viele Freundschaften wurden dort geschlossen, die teils bis an deren Lebensende anhalten
(Fam Podrepschek z.B. Hans, Ludwig „Uzzi“, Fini, oder Gustl Stoppacher)
Im bescheidenen Haushalt in Graz am Südtiroler Platz 10 leben neben den Eltern noch anfangs die Großmutter Thekla Narodoslavsky bis 1927, sowie bis zu ihrem Tod 1944 (wahrscheinlich ebenfalls „euthanasiert“, Diagnose Magenkrebs) die Tante, Antonia Narodoslavsky, Schwester von Klementine N.
1932 wird der Bruder Alfred geboren, einige Zeit danach trennen sich die Eltern.
Genau am 29.4. 1936 ( Hertha´s 13. Geburtstag) wird die Mutter, Klementine Narodoslavsky, nach einigen Nervenzusammenbrüchen und darauffolgendem Aufenthalt in der Nervenklinik LKH in das Landessonderkrankenhaus „Am Feldhof“ stationär eingewiesen.
Sie wird die Anstalt nur mehr zur Überstellung nach Niedernhart/Linz bzw. von dort nach Hartheim zur Vernichtung im Jänner 1941 verlassen.
Im Wesentlichen ist Hertha ab diesem Zeitpunkt für sich alleine verantwortlich. Der Bruder ist teilweise in Heimplätzen bzw. später beim Vater.
Sie schließt 1937/38 die Hauptschule ab, Österreich war gerade von Nazideutschland okkupiert.
Jahre der Angst stehen bevor, ist doch der Vater nach den nunmehrigen gültigen Rassengesetzen kein „Arier“ sondern Judenmischling 1. Grades. Er findet Arbeit in der Heeresverwaltung Graz (als ehemaliger k.u.k.- Offizier und späterer Militärgerichtsbeamter versteht er die Materie) der „Deutschen Wehrmacht“ als Zivilbediensteter, ein Major „verdeckt“ seine nichtarische Herkunft.
Trotzdem bleibt die Angst ein ständiger Begleiter bis zum Ende des Schreckens im Mai 1945… Irgendwann in den 1990-er Jahren erzählte Onkel Alfred mir von den Nächten im Krieg in denen sein Vater (mein Großvater) sorgenvoll meinte: was wird aus uns werden wenn sie uns erwischen, was wird aus dir…
Freunde nehmen Hertha nach dem Abschluss einer Haushaltungsschule 1938 mit nach Deutschland, nach Freiburg im Breisgau, wo sie einige Zeit als Hilfe in einer Bäckerei arbeitet und relativ sicher ist.
Der immer wahrscheinlich werdende Kriegsbeginn veranlassen Hertha 1939 doch wieder nach Graz zu gehen. Sie beginnt Anfangs 1940 eine Lehre als Friseurin Graz, die sie 1943 ordnungsgemäß mit Freisprechung beenden wird.
Im Jänner 1941 wird die Mutter aus dem LSKH Graz mit hunderten anderen Kranken nach Niederhart/Linz verschleppt und zwei Wochen später kommt die Todesnachricht aus Hartheim, „akutes Herzversagen infolge Aufregung“ steht am Totenschein des Standesamts Hartheim, eine Urne wird wohl geschickt, jedoch wusste die ganze Familie, dass hier nichts mit rechten Dingen zugeht und hinter dem „Herzversagen“ was anderes steht…
1942
schließt sich Hertha einer Gruppe illegaler Kommunist*innen in Graz an, es wird für Frauen und Familien Hilfe organisiert, deren Männer und Angehörige als Antifaschisten in Gefängnissen oder KZs sitzen oder bereits den Tod erlitten. Sie ist seither Mitglied der Kommunistischen Partei Österreichs. Im Februar heiratet sie Josef Mandl (die Ehe wird 1946 geschieden), bei der Aufbringung der Dokumente am Standesamt wird sie gefragt „ob sie wohl keinen SS-Mann heirate, denn das sei ihr nicht gestattet mit ihrer Erbbelastung“. Ihr erstes Kind REINHOLD wird 1943 geboren.
1943 schließt sie ihre Lehre ab und übt dann den Beruf bis 1944 aus, in den Endzügen des Nazireiches können die Friseure nur mehr eingeschränkt arbeiten. Ihre illegale Tätigkeit übt sie weiterhin aus. 2 Jahre lebte der Mann ihrer Freundin Elisabeth Prattes, Harald Willibald Prattes als „U-Boot“ in Graz, er betrieb mit einem jüdischen Kompagnon bis zur Okkupation 1938 ein Tonstudio. Sie teilen Lebensmittelmarken und organisieren am existierenden Schwarzmarkt. Ihr Schwiegervater schlachtet „schwarz“, die Landwirtschaft unterliegt genauen „Meldepflichten“ und viel später wird sie mir erzählen, wie schlimm sie es gefunden hat, dass schnell verderbende Teile einfach vergraben werden mussten…… und wie Transporte organisiert wurden und wie knapp es einigemale mit der Polizei im Vernaderersystem herging am Südtiroler Platz 10…
1945
das Dritte Reich ist zu Ende, der Nazispuk auch?
Die Rote Armee befreit Graz und weite Teile der Steiermark. Nachforschungen wurden und werden angestellt, in der „Neuen Steirischen Zeitung“ im Juni oder Juli 1945 geht bereits hervor, was da am Feldhof bzw in Hartheim geschah. Der Antrag von Hertha um Anerkennung als „Opfer des Faschismus“ wird von der Stmk. Landesregierung abgelehnt.
Rund 75 Jahre später wird sich daran nichts geändert haben.
Die KPÖ ist in Graz ein wesentlicher Faktor des Widerstandes und des Neuaufbaues des Landes. Die Partei erlebt einen ungeheuren Zustrom (später Maiglöckerln genannt) und im November 1945 werden die ersten Wahlen in Österreich seit mehr als 14 Jahren abgehalten. Sie bringen nicht einen „volksdemokratischen Weg“ sondern einen Sieg der Christlich-Konservativen – nunmehr Österreichische Volkspartei. Leopold Figl als erster gewählter Bundeskanzler wird in seiner Regierungserklärung von einem “Neuen, sozialistischen Weg Österreichs“ sprechen, inzwischen wissen wir was daraus wurde.
1946
beginnt Hertha bei der Österreichischen Post im Fernmeldeamt Graz zu arbeiten, die Ehe wird geschieden, Hertha ist in der BO Graz-Lend für die KPÖ tätig und wird auch Gründungsmitglied von „KINDERLAND“ wo sie verschiedene Funktionen ausübt bis fast an ihr Lebensende.
1949
ein schwerer Schlag, ihr Kind REINHOLD stirbt an einem Blinddarmdurchbruch… zu spät im Spital erkannt…
1952
werde ich (Raoul) am 25.4. geboren und meine Mutter wird mich im Wesentlichen alleine aufziehen. Ich werde aber immer neben meinen Eltern auch umgeben sein von Freundinnen und Freunden im Kinderland und in der KPÖ. Viele Namen gehen mir jetzt durch den Kopf, viele davon sind heute nicht mehr unter uns. Stellvertretend für Viele genannt: Anna u. Josef ALTENBACHER, Valerie u. Hans BRUGGER, Willi GAISCH, Hansi GMEINER, Franz JAUK, Lisl KAUFMANN, Hansi u. Max KORP, Adele u. Josef/Pepo KOVACIC, Franz LEITNER, Berta u. Franz MARINIC, Martha u. Rudi PODREPSEK, Hans PODREPSCHEK, Fritz RIEGLER, Fam. SPITZER, Kurt STROHMAYER und viele mehr, aber das sprengt den Platz hier, in der Erinnerung bleiben sie Alle
1955
wird der Staatsvertrag unterzeichnet und der „kalte Krieg“ nicht beendet oder wärmer
1956
gibt´s im Oktober im Nachbarland Ungarn etwas, was die Einen als Konterrevolution und die Anderen als Volksaufstand bezeichnen werden. Es wird davon gesprochen, dass auch das Grazer Volkshaus, das damals neue Haus der steirischen KPÖ in der Lagergasse Ziel von Angriffen sein könne.
Hertha wird dort im Verein mit Genossinnen und Genossen Wache halten und mich bei ihrer Tante abgeben. Daran kann ich mich noch gut erinnern….
und dann wird Hertha bei der Post gekündigt bzw. wird man ihr nahelegen zu gehen oder ihr die vollen Härten des Vertrages zu spüren geben. Die Zeit der „Säuberungen des öffentlichen Dienstes von KommunistInnen“ ist angesagt.
Danach war sie 4 Jahre arbeitslos, mit einem kleinen Kind, einigen Gelegenheitsarbeiten (prekäre Dienstverhältnisse heißt es heute), sie besucht am Abend Fortbildungskurse in der Arbeiterkammer-Volkshochschule auf Anraten von Franz Jauk und wurde Buchhalterin.
1958 starb ihr Vater Oskar Kreisler.
1960 begann sie als Buchhalterin in einer Steuerberatungskanzlei zu arbeiten. Mit ihrer politischen Meinung und Einstellung muß sie vorsichtig umgehen um nicht wieder arbeitslos zu werden. Sie wird diesen Beruf bis 1979 ausüben und geht als geprüfte Bilanzbuchhalterin in Pension.
Immer wieder wird sie sich, aus beruflichen und persönlichen Interessen, Rechtsfragen im ASVG und ähnlichem widmen, besucht Kurse und Seminare in verschiedenen Institutionen, berät andere Menschen in ihren Rechten.
Sie kassiert ihre Mitglieder in Partei und Kinderland, wird von 1962 an für das neu zu schaffende KINDERLAND-Feriendorf eine unermüdliche Sammlerin von Spenden und Bausteinen, kein „Sammelausweis“ in der Kinderland-Zeitung, wo nicht ihr Name zu finden ist, bis 2011.
Neben ihrer erzieherischen Tätigkeit an mir und ihrem Beruf arbeitet sie in „ihrer KPÖ“, in der Ortsgruppe Gries von Kinderland, im Bund demokratischer Frauen, im Mieterschutzverband usw.
Sie engagiert sich nach ihrer Pensionierung 1979 immer mehr im Zentralverband der Pensionisten, Landesorganisation Steiermark und übernimmt schließlich die ehrenamtliche Funktion des Landessekretärs, ein „fulltimejob“ den sie beinahe bis an ihr Lebensende
ausübt.
Zusammen mit Hans PODREPSCHEK als Landesobmann wächst sie in ihrer Funktion, hält Sprechtage ab, berät Menschen über ihre Rechte und Steuerfragen und „managt ihr Büro“.
1983 oder 1984 erhält sie das „Ehrenzeichen für die Befreiung Österreichs“ und 1993 wird ihr der amtierende LH Krainer (jun.) das „Ehrenzeichen des Landes Steiermark“ überreichen.
Späte Anerkennungen, aber für sie und ihresgleichen wesentliche öffentliche Anerkennungen.
1995
Das Thema „Hartheim – was da geschah“ kommt nach 50 Jahren mehr in die Öffentlichkeit. BP Dr. T. KLESTIL besucht anlässlich des Jahrestages der Befreiung des KZ Mauthausens als erster maßgeblicher Repräsentant der Republik auch Hartheim und spricht davon, dass Licht in das Dunkel muß.
Briefe werden an Bundespräsident, Kanzler und Nationalratspräsident gesandt.
Thema ist die Anerkennung als „Opfer des NS-Regimes“, eine politische und keine ökonomische Forderung.
Wie schon 1945 durch die Stmk. Landesregierung wird diese Opferforderung abgelehnt und an den gegründeten Nationalfond verwiesen. Dabei ist das Thema nicht Geld sondern die Frage „wer oder was ist Opfer“.
Die (noch immer gültige) Rechtsmeinung: Opfer ist die Klementine N., hätte sie überlebt, hätte sie Ansprüche… Nur Kind der Ermordeten zu sein (wobei die rechtliche Frage allfälliger nie erhaltener Waisenrenten ausgeklammert bleibt) ist zu wenig.
2001
Tom Matzek nimmt Kontakt über den Verein Hartheim mit mir und Hertha auf, sie erzählt ihre Geschichte bzw. die ihrer Mutter in der TV-Produktion „das Mordschloß“. Der Film wird im ORF ausgestrahlt und ist später auch als Buch erhältlich‚ siehe auch < href=“https://de.wikipedia.org/wiki/Tötungsanstalt_Hartheim“>https://de.wikipedia.org/wiki/Tötungsanstalt_Hartheim
Gemeinsam gingen wir am Drehtag in die Direktion des LSKH und bekamen die Antwort es sei da überhaupt keine Dokumentation oder Krankengeschichte aus dieser Zeit erhalten, alles sei verschwunden (wir finden viel später Unterlagen in einem Archiv in Deutschland)
Mit bald 80 Jahren betreut sie täglich ihr Büro im Volkshaus, hält ihre Sprechstunden für die Ratsuchenden auch in den Orten außerhalb von Graz ab und trug und trägt noch immer bei zum Erfolg der Kommunistischen Partei als anerkannte politische Kraft im Land.
2003
Am 29.4.2003 (ihr 80. Geburtstag) überreicht der Bürgermeister der Landeshauptstadt Graz, Mag. Siegfried NAGL, auf Antrag von Stadtrat Ernest KALTENEGGER Frau HERTHA MANDLNARODOSLAVSKY das „Goldene Ehrenzeichen der Stadt Graz“ in Würdigung ihrer Verdienste im Widerstand gegen das NS-Regime und ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit als Landessekretär des Zentralverbandes der Pensionisten Steiermark.
2005
In der Nacht vom 13. auf den 14. August 2005 erleidet Hertha Mandl-Narodoslavsky einen Schlaganfall. Sie wird in den Morgenstunden des 14. August 2005 in die Neurologie des LSKH Sigmund Freud Klinik eingeliefert und bleibt dort bis Mitte Oktober 2005, danach Aufenthalt zur Rehabilitation in Judendorf-Straßengel bis Ende Dezember 2005.
Seither war sie von Betreuung abgängig, bewegte sich mit Hilfe eines Rollstuhles weiter, ihr Kampf und Arbeitsgeist ist ungebrochen, jedoch ist sie emotional sehr schnell aufgeregt. Sie ist damals nicht in der Lage, über die Vorfälle im LSKH in der Nazizeit selbst zu sprechen. Sie besuchte weiterhin die auswärtigen Gruppen des Pensionistenverbandes, ihre Betreuerinnen Janka und Martha lernen bald von ihr welche Formulare wie auszufüllen sind, wenn sie es selbst grad nicht kann…
sie lernt etwas slowakisch mit Janka und Martha, der ZVPÖ ernennt sie 2007 zum Ehrenmitglied
2006
Am 24. März 2006 wird am Gelände des LSKH Graz (vorm. FELDHOF) ein Denkmal für die über 1000 ermordeten Menschen, welche vom Feldhof nach Hartheim gebracht wurden, im Beisein von BP Fischer, BM Nagl, Bischof Kapellari und weiteren Amtsträgern enthüllt, Hertha war auch dort, im Rollstuhl, ebenso ihr Bruder (mein Onkel) Alfred, ich auch, eingeladen waren wir nicht, aber wir nehmen dennoch teil…
2011
in der Nacht vom 2. zum 3. Juli 2011 erlischt ihre Kraft nach weiteren Schlaganfällen und einer Gehirnblutung. Sie verstirbt im LSKH Siegmund Freud.
Tröstlich wie viele Menschen an ihrer Verabschiedung 10 Tage später in der Grazer Feuerhalle teilnahmen, der Spendenaufruf (Kranzablöse) für Kinderland im Sinne Herthas zu ihrem Ableben ergab einen ansehnlichen Betrag.
„Wer sich zu wichtig für kleine Arbeiten hält ist oft zu klein für wichtige Arbeiten“ Hertha
Sie war keine „Laute“, sie war eine Ruhige, aber Beständige. Sie war eine Kommunistin.
Auf meine Frage irgendwann in all diesen Zeiten „WARUM“ ihre für sie so typische Antwort:
„In der tiefsten Illegalität… wo es den Kopf gekostet hat wenn „sie“ Dich erwischt hätten, war das Erste, was ich in der illegalen KP lernte…. weil der Mensch zuerst kommt“