Dr. Samuel Weiss
Samuel Weiss (Weisz) wurde am 31. Mai 1864 in Lugos geboren. Sein Vater Salomon Weisz war Oberrabiner in Lugos, Ungarn, wie die Stadt damals in den Dokumenten genannt wurde (heute: Lugoj, eine Stadt im Westen Rumäniens, ungarisch Lugos, Kreis Timiş, Banat). Er besuchte das Obergymnasium in Lugos und studierte vom Wintersemester 1883/84 bis zum Sommersemester 1888 an der Medizinischen Fakultät der Universität Wien, laut Promotionsprotokoll M 33.6 war das Promotionsdatum zum Doktor der gesamten Heilkunde der 30. Jänner 1892.[1]
Samuel Weiss war verheiratet mit Katharina (Katinka), geb. Haas, die am 30. Mai 1880 geboren war. Das Paar hatte drei Kinder: Maria Magdalena, Gertrud und Emmerich.
Samuel kaufte 1918 das Kurhaus AUSTRIA in Frohnleiten von Betty Feyrer und war dort als Kurarzt tätig. Er verstarb am 16. März 1937 in Szeged an Herzschwäche.[2]
[1] Archiv der Universität Wien, Samuel Weiss, UAZl. 61/414/22
[2] Wiener Stadt- und Landesarchiv, Buch Standesamt T-5-39/1939 vom 16.02.1939. Sterbematrik Zahl 34a/1937
Recherche Dr. Edda Engelke
Langversion:
Kaltwasserheilanstalt „Sanatorium Austria“ in Frohnleiten: Ausbürgerung und Vermögensverfall der Familie Weiss
Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts bestand in Frohnleiten eine Kaltwasserheilanstalt, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts um einen großen Neubau erweitert wurde.
Dr. Eduard Hohmann beantragte die Erweiterung des Kurbetriebes und erhielt die Bewilligung zur Errichtung und den Betrieb einer Wasserheilanstalt im Haus Frohnleiten Nr. 34 (heute: Frohnleiten, Bruckerstraße 2), die Benutzungsbewilligung erhielt er im Jahre 1905. Nach dem Tod Hohmanns erbte Betty Edle von Feyrer das „Sanatorium Austria“ aufgrund des Einantwortungsbeschlusses vom 9. September 1909. Sie verkaufte das Haus im Oktober 1918 an den Wiener Arzt Dr. Samuel Weiss. Damit ging das heutige Rathaus der Stadtgemeinde Frohnleiten in das Eigentum einer jüdischen Familie über und wurde ab 1938 zum Ziel nationalsozialistischer Maßnahmen: die Konzessionsrechte wurden entzogen, die Familienmitglieder wurden ausgebürgert, das Vermögen der Familie Weiss verfiel dem Deutschen Reich.
Quelle: Steiermärkische Landesbibliothek
Da Frohnleiten leider keine Meldebücher oder Einwohnernachweise aus den Jahren vor 1945 und kein Stadtarchiv besitzt, kann kein Nachweis über die Wohnadresse der Familie Weiss vorgelegt werden, aus den Unterlagen zum Kurhaus geht jedoch hervor, dass sich dort die Wohnung des ärztlichen Leiters befunden hat.
Dr. Samuel Weiss verstarb am 16. März 1937
Aus der Anlage zum Vermögensverzeichnis des Sohnes Dr. Emmerich Weiss gehen folgende Personen als Erben hervor:
Katharina Weiss, Ehefrau des Verstorbenen, und seine drei Kinder:
Maria Magdalena Weiss, geb. 1900, Kindergärtnerin. Letzte Wohnadresse war in Wien, ausgewandert 1935 nach Jerusalem.
Dr. med. Gertrude Friedländer, geboren 1902, praktische Ärztin, letzte Wohnadresse war Wien, sie war verheiratet mit Dr. jur. Walter Friedländer und wanderte in die in die USA aus. Dr. jur. Emmerich Weiss, geb. 1906, letzte Adresse in Wien,. war Jurist und als Strafverteidiger tätig bis zum Berufsverbot durch die NS-Gesetze.
Katharina Weiss verstarb am 8. April 1938
Bevor es zur grundbücherlichen Übertragung der Liegenschaftsanteile auf die Erben kam kam, verstarb Katharina Weiss, die das Sanatorium auf Basis des Witwenrechtes weitergeführt hatte, am 8. April 1938. Durch ihren Tod erloschen die sanitätsbehördliche Konzession und die gewerbliche Witwenkonzession. Da die Nachfahren „Nichtarier“ waren, hatten sie keinen Zugang zum Erwerb neuer Konzessionsrechte.
Erben:
Dr. Emmerich Weiss, geb. 11.1.1906 in Versecz (Jugoslawien), Strafverteidiger bis 1938
Maria Magdalena Weiss, geb. 18.10.1900, Kindergärtnerin in Jerusalem
Dr. Gertrud Friedländer, geb. 21.8.1902 in Versecz (Jugoslawien), Ärztin in Wien
Das Sanatorium war seit 30 Jahren als Saisonbetrieb geführt worden, daher erfolgte die Schließung am 7. November 1937, eine Weiterführung im Frühjahr war aufgrund der fehlenden Berechtigungen nicht mehr möglich. Katharina Weiss hatte testamentarisch ihren Sohn Emmerich als Universalerben für ihren Anteil eingesetzt, die beiden Schwestern erhielten den Pflichtteil. Die neue politische Situation wirkte sich ganz unmittelbar auf die Erbschaft der Geschwister aus, die Liegenschaft in Frohnleiten wurde nun von der Gebührenbehörde neu bewertet.
Im „Verzeichnis über das Vermögen von Juden“ der Geschwister Weiss stellt ihr jeweiliger Anteil am Sanatoriumsgebäude und dem dazugehörigen Garten und Acker den mit Abstand wichtigsten Posten dar, für Dr. Emmerich Weiss und Dr. Gertrude Friedländer wurden noch das Inventar ihrer Wohnungen bzw. ihrer Arztpraxis, wertvolle Bilder, Teppiche, Schmuck und persönliche Gegenstände angeführt. Das Verzeichnis für Maria Magdalena Weiss wurde von ihrer Schwester Gertrude Friedländer unterschrieben, der sie vor ihrer Ausreise nach Israel im September 1937 eine Vollmacht erteilt hatte.
Bereits im März 1938 wurde das Sanatoriumsgebäude beschlagnahmt „und ab 15.3.1938 von militärischen Formationen, SS und HJ zur Gänze in Anspruch genommen“
Quelle: Stadtgemeinde Frohnleiten, Archiv Bauamt.
Kaufvertrag
Aus den Akten der Finanzlandesdirektion für Steiermark über „das entzogene Vermögen [von] Dr. Emmerich Weiss, Magda Weiss und Dr. Gertrude Friedländer“ lässt sich die komplizierte Geschichte des Hauses in der NS-Zeit rekonstruieren. Daraus geht hervor, dass „Herr Franz Freiherr von Mayr-Melnhof bzw. dessen Zenralverwaltung“ bereits unmittelbar nach der Beschlagnahme am Erwerb der Liegenschaft interessiert war und das Gebäude kaufen wollte. Da die Geschwister Weiss jedoch bereits das Land verlassen hatten bzw. vor der Unterzeichnung eines Kaufvertrages das Land verließen, wurde das ehemalige „Sanatorium Austria“ in den Strudel der NS-Rassengesetze gezogen und es kam zu keiner Kaufabwicklung und zu keiner grundbücherlichen Eintragung für den Interessenten.
Im Juli 1938 erstellte die von Franz Mayr-Melnhof gegründete Gemeinnützige Steirische Wohnungsunternehmung Piberstein-Frohnleiten-Kaisersberg einen Kaufvertrag für die Liegenschaft Bruckerstraße 2, Frohnleiten, EZ 33 und 201 KG Frohnleiten und suchte gleichzeitig bei der Vermögensverkehrsstelle Graz um Genehmigung des Kaufes an. Es bestand die Absicht, Kleinwohnungen für Arbeiter und Angestellte des Unternehmens einzurichten. Die staatliche Aufsichtsstelle lehnte jedoch ab, da die „Adaptierung und Erhaltung eines derartigen Objektes den Rahmen und die Mittel einer gemeinnützigen Wohnungsunternehmung übersteigen würden.“ Der Vertrag vom 15. Juli 1938 musste storniert werden.
Für den Erwerb der Liegenschaft trat im Oktober 1938 Franz Mayr-Melnhof persönlich als Interessent auf
Trotz mehrfacher Bemühungen kam es nie zu einer endgültigen Abwicklung, „da diese nach Praxis und Vorschriften der Devisenstelle nur unter der Voraussetzung erteilt wurde gegen Beibringung der eigenhändig von den jüdischen Vorbestizern unterfertigten Erfüllungserklärungen (d.h. die Zustimmung zum Erlag des Kaufpreises auf ein Sperrkonto an Erfüllung statt) und der steuerämtlichen Unbedenklichkeitsbescheinigungen.“ Diese Voraussetzungen konnten nicht erfüllt werden, da für die beiden Schwestern Steuerrückstände geltend gemacht wurden und die eigenhändigen Unterschriften nicht einzuholen waren, da alle drei Geschwister emigriert und schriftlich nicht erreichbar waren.
Quelle: AdR, VA 3.686
Im Jänner 1941 erfolgte die formale Ausbürgerung von Emmerich und Maria Magdalena Weiss und die Beschlagnahme ihres Vermögens durch die Geheime Staatspolizei. Die Beschlagnahme ihrer Liegenschaftsanteile zu Gunsten des Deutschen Reiches wurde grundbücherlich angemerkt. Für beide wurde auch die Juva vorgeschrieben. Gegenüber Dr. Gertrude Friedländer wurde weder die Beschlagnahme des Vermögens noch der Vermögensverfall betreffend die Liegenschaft in Frohnleiten ausgesprochen.
Rechtsanwalt Erichleb stellte ein Ansuchen um die Aufhebung der staatlichen Beschlagnahme der Liegenschaft, um auf diesem Weg die Eintragung des Eigentumrechtes für Franz Mayr-Melnhof zu erreichen. Die Antwort des Oberfinanzpräsidenten war jedoch abschlägig, „weil laut Erlass des Reichsministeriums für Finanzen vom 22.4.1941 […] der Verkauf von Grundbesitz mit sofortiger Wirkung einzustellen ist, Ausnahmen werden grundsätzlich nicht zugelassen.“ Am 2. August 1943 bestätigte der Oberfinanzpräsident diese Entscheidung, da der Kaufvertrag beim Inkrafttreten der neuen Gesetze über den Verkauf von Grundstücken aus eingezogenem oder verfallenem jüdischen Vermögen noch nicht die endgültige behördliche Genehmigung erlangt hatte. Man erklärte sich aber bereit, die Liegenschaft „bis auf weiteres“ an Mayr-Melnhof zu verpachten, zum Abschluss eines Pachtvertrages kam es jedoch nicht. Der erlegte Kaufpreis und die bezahlte Grunderwerbssteuer sollten unter Vorlage der entsprechenden Dokumente rückerstattet werden.
Pachtvertrag
Einem Schreiben des Rechtsanwalts Dr. Friedrich Zabransky zu Folge war er zwar zum vorläufigen Vermögensverwalter bestimmt worden. Es kam jedoch nie dazu, dass er diese Funktion für die Liegenschaft EZ 33 und EZ 201 ausführte, da er vom Erwerb und der Übernahme durch Mayr-Melnhof ausgegangen war. De facto betrieb die Franz Mayr-Melnhof’sche Gebäudeverwaltung in Wien die Aufgaben vor Ort, auch wenn der Oberfinanzpräsidenten Graz aufgrund der Rechtslage zuständig blieb. Im Mai 1944 verfasste Dr. Erichleb ein Schreiben an den OFP, in dem er betonte, dass Mayr-Melnhof weiterhin die Absicht habe, „das fragliche Objekt in Pacht zu nehmen bzw. in Pacht zu behalten, da er es zu Wohnungszwecken für die Gefolgschaftsmitglieder seiner kriegswichtigen Betriebe nach wie vor benötigt.“ Der Rechtsvertreter versuchte mit Nachdruck, die hohen Leistungen und den Einsatz der Mayr-Melnhof’schen Verwaltung darzustellen, „mit großem Aufwand“ wurden laut dem Schreiben Klein- und Mittelwohnungen für Arbeiter und Angestellte der Mayr-Melnhof’schen Betriebe eingerichtet. Die angeführten Ausgaben für „Bauführungen“ in einer Höhe von RM 18.888,40 für das Jahr 1939 und RM 12.625,24 für das Jahr 1940 erscheinen sehr hoch. Dazu muss noch der „Erhaltungsaufwand 1939 bis 1943“ in Höhe von RM 19.064,56 hinzugezählt werden. Es wurde ein Mietzins von 30 bis 55 Reichsmark für die Wohnungen verrechnet, die unverbauten Flächen rund um das Gebäude wurden zum Teil als Hausgärten an „Gefolgschaftsmitglieder“ ohne Bezahlung überlassen, rund 2 ha wurden an Mitarbeiter der Karton- und Pappenfabrik Mayr-Melnhof zur landwirtschafltichen Nutzung um rund 150 Reichsmark verpachtet. Am 2. Juni 1944 kam es zu einer persönlichen Vorsprache von Dr. Erichleb beim OFP in Graz und es wurde vereinbart, alle Belege und Unterlagen beizubringen für die weiteren Verhandlungen betreffend den Abschluss eines Pachtvertrages, der jedoch nicht zustande kam.
Rückgabe von entzogenem Vermögen
Die Liegenschaften EZ 33 und EZ 201 der KG Frohnleiten waren zu drei Viertel zu Gunsten des Deutschen Reiches beschlagnahmt und zu einem Viertel zu dessen Gunsten verfallen. Die Beschlagnahme wurde aufgehoben, aufgrund des Bescheides dem Bundesministeriums für Finanzen vom 7. Juni 1947 wurde die Anmerkung im Grundbuch gelöscht. Die grundbücherlichen Eigentümer waren daher nach wie vor Dr. Emmerich Weiss, Maria Magdalena Weiss und Dr. Gertrude Friedländer.
Laut Kaufvertrag vom 10. Oktober 1949 wurde die Liegenschaft Bruckerstraße 2 mit allen Nutzungen und Lasten an die Karton- und Pappenfabrik Franz Mayr-Melnhof & Co verkauft. Verkäufer waren Toni Maria Weiss und Maria Magdalena Weiss, die in Jerusalem lebten, sowie Elisabeth Friedländer in Glasgow.
Quellen
Österreichisches Staatsarchiv – Archiv der Republik
VA 3.685
VA 3.686
VA 19706
Steiermärkisches Landesarchiv:
LReg 187 Fo 1/1934
L17-661/1951
Grundbuch KG Frohnleiten, Band 1. Kaufvertrag vom 1. Oktober 1918
Stadtgemeinde Frohnleiten, Archiv des Bauamtes