Wilhelm Blüh

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geb. 4. Oktober 1880 in Visoko (Kroatien)
2. Oktober 1909 Gewerbeschein für Ledergroßhandlung
ca. 1912 Heirat mit Adele Wurmfeld
1914-1918 Weltkriegsteilnehmer
1. August 1922 Tod von Adele Blüh
1926 Heirat mit Olga Fleischer
März 1938 Haft im KZ Dachau
1. Juni 1938 Ernennung von Franz Brunner zum „kommissarischen Verwalter“
3. Oktober 1938 „Arisierung“ des Geschäfts Blüh durch Karl Veverka
5. November 1938 Hausverkauf an Geschwister Plessing
November-Dezember 1938 „Schutzhaft“ KZ Dachau
April 1939 Flucht nach Jugoslawien
1941 Zwangsarbeit im Lager Jastrebarsko
7. Dezember 1941 Tod in Ljubljana

Wilhelm Blüh wurde in Visoko, die Stadt liegt heute im nordöstlichen Kroatien, am 4. Oktober 1880 geboren. Die Familie hat ungarische Wurzeln, die bis ins 18. Jahrhundert zurückreichen. Ein Familienzweig lebte später im kroatischen Varaždin. Wilhelms Eltern waren Moritz und Regina Blüh, geborene Taussig, tätig  in der Landwirtschaft. Er hatte drei Geschwister: Markus (geboren 1882), Stefica (1892-1956) und Rudolf (1896-1940).

Stolpersteine der Familie Blüh in der Annenstraße 31

Stolpersteine der Familie Blüh in der Annenstraße 31 Foto: Alexander Danner

Nach dem Besuch der Volks- und Mittelschule begann Wilhelm eine Lehre in der Leder- und Rohlederbranche. Nach drei Jahren Militärdienst (1901-1904) war er in Handels- und Industrieunternehmungen tätig bis er im Jahr 1909 schließlich ein Leder-Engrosgeschäft und eine Schuhfabrik gründete. Am 2. Oktober 1909 wurde ihm ein Gewerbeschein als Kaufmann für die Ledergroßhandlung ausgestellt.

Bereits Anfang des 20. Jh. hatte sich Wilhelm in Graz niedergelassen, wo er eine Karriere als Selfmademan machte. Wenige Jahre vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs heiratete er Adele Wurmfeld, deren Eltern Ignaz und Rosa Wurmfeld, geborene Rosenberg, in Graz ein Fischrestaurant in der Neutorgasse besaßen.

Adele Blüh, geboren am 16. September 1883, hatte mehrere Geschwister, unter anderem Joanna (Johanna) und Sandor (Alexander). Schwester Joanna sollte später nach Auschwitz deportiert und dort ermordet werden. Die Eltern Ignaz (1843-1923) und Rosa (1854-1932), sowie Bruder Sandor und Adele selbst sind in Graz am jüdischen Friedhof beigesetzt.

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Eingangstür zur Wohnung Blüh, Annenstraße 31 Foto: Silvia Parvati Bergmann

Wilhelm und Adele gründeten eine Familie. Im September 1912 wurde Sohn Hans in Eggenberg bei Graz geboren, zwei Jahre später Tochter Gertrude. Die Familie wohnte in der Annenstraße 31 im 2. Stock. Das Eingangstor war sehr majestätisch und bestand aus dickem Holz. Darauf befand sich ein dekoratives eisernes Inlay mit den Buchstaben „B“ (für Blüh), „W“ (für Wilhelm) und „A“ (für Adele). Im selben Gebäude befand sich auch das Lederhandelsgeschäft, im Hof die Schuhoberteilerzeugung. In den Jahren nach Weltkriegsende entwickelten sich die Geschäfte so gut, dass die Familie bald als sehr wohlhabend galt. Man besaß ein Automobil und Telefon, auf der Terrasse des Appartements waren Obstbäume gepflanzt.

Religion spielte im Alltag eine eher geringe Rolle, man war das Gegenteil einer jüdisch-orthodoxen Familie. Die Blühs waren assimiliert und nur die wichtigsten jüdischen Traditionen und Feiertag wurden begangen. Religiöse Vorschriften und Verhaltensregeln wurden kaum beachtet, besonders der älteste Sohn Hans verspürte dagegen eine rege Abneigung.

Einen ersten Einschnitt ins Familienleben bildete der Ausbruch des Ersten Weltkriegs im Jahr 1914. Wilhelm wurde in die Armee eingezogen, wo er an der russischen Front eingesetzt wurde und zahlreiche Auszeichnungen erhielt. Die Versorgung der Kleinkinder oblag nun Adele allein. Wilhelm sollte erst nach Ende des Krieges vier Jahre später heimkehren. Die Abwesenheit des Vaters führte dazu, dass beide Kinder vor allem zur Mutter eine sehr innige Beziehung aufbauten.

Nach Ende des Krieges erlebte nicht nur das Geschäft einen Aufschwung, sondern auch Inhaber Wilhelm Blüh galt als respektable Person und genoss hohes Ansehen. Selbst war er besonders auf seine körperliche Leistungsfähigkeit und Fitness stolz, Folge seiner regen sportlichen Betätigung und Liebe zur Natur. Er liebte Schifahren, Bergsteigen und ausgiebige Wanderungen, was sich auch auf die Erziehung niederschlug. Seine Söhne brachte er etwa mit dem Boot in die Mitte eines Sees und schmiss sie dort ins Wasser, sodass sie bis zum Ufer schwimmen mussten. Auch Bildung war ihm wichtig. Wilhelm legte selbst Wert auf seine Mehrsprachigkeit – er sprach neben Deutsch auch Serbokroatisch – und dränge seine Kinder zum Englischunterricht.

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Grabstein Adele Blüh, Jüdischer Friedhof Graz Foto: Sergio Schlesinger

Am 8. Juli 1922 erblickte sein drittes Kind Alfred das Licht der Welt. Darauf folgte jedoch ein schwerer Schicksalsschlag, denn nur wenige Wochen später am 1. August verstarb Adele, seine Frau und dreifache Mutter. Während der Säugling in der darauffolgenden Zeit von Adeles Schwester in Szombathely (Ungarn) betreut wurde, verblieben die zwei älteren Kinder Trude und Hans beim Vater.

Vier Jahre Später, im Jahr 1926, heiratete Wilhelm Olga Fleischer, die aus Teplitz-Schönau (Teplice) im Sudetenland (damals Tschechoslowakei) stammte. Alfred kehrte daraufhin aus Ungarn zurück und Olga übernahm in den nächsten Jahren die Kindererziehung, wo sie Disziplin und Strenge walten ließ. Dies stellte durchaus eine Herausforderung dar, da Hans im Gegensatz zur Schwester mit seinen vierzehn Jahren gegen die Stiefmutter rebellierte, Gertrude oft kränklich war und Alfred als Vierjähriger viel Aufsicht benötigte.

Als im März 1938 die Wehrmacht einmarschierte und der sog. „Anschluss“ Österreichs an das nationalsozialistische Deutschland vollzogen wurde, veränderte sich das Leben der Blühs schlagartig. Tochter Gertrude und Schwiegersohn Josef Scharfstein wurden verhaftet, letzterer erst viele Monate später wieder entlassen. Auch Wilhelm selbst wurde ins KZ Dachau bei München verschleppt, wo er drei Wochen inhaftiert blieb. Nach Entlassung kehrte er zutiefst erschüttert zurück.

Gleichzeitig setzten auch die Vermögensberaubung und der Enteignungsprozess gegenüber der jüdischen Bevölkerung ein. Die Kaufmannsfamilie Blüh galt als wohlhabend, was gerade bei antisemitischen MitbürgerInnen und bei den NS-Behörden Begehrlichkeiten weckte. Wilhelm Blüh war nicht nur Geschäftsinhaber, sondern auch Besitzer des Zinshauses Annenstraße 31 und eines Gebäudes in Wagna bei Leibnitz (Altenmarkterstraße 3) – im Mai 1939 erworben von August und Regina Entschitsch aus Leibnitz. Mit einem Umsatz von ca. RM 600.000,- galt vor allem der Familienbetrieb Blüh als ein einträgliches Unternehmen und war damit ein attraktives Ziel.

Bereits Ende Mai 1938 sah er sich genötigt mit Karl Veverka (auch Wewerka), einem nichtjüdischen Mitarbeiter des Geschäfts, einen Kaufvertrag über eben jenes in Anwesenheit des Rechtsanwalts Dr. Griedl abzuschließen. Veverka, geboren am 4. Dezember 1904 und wohnhaft in Gösting, arbeitete seit dem Jahr 1932 im Ledergeschäft Blüh, wo er als Verkäufer und Handelsvertreter tätig war. Als Lehrling hatte er im Ledergeschäft Wilhelm Gibiser in der Neutorgasse begonnen, wo er in den Jahren 1920-1922 Verkäufer war.

Seit dem April 1931 wurde  Veverka als Parteimitglied der NSDAP mit Mitgliedsnummer 463.290 geführt. Im nationalsozialistischen Schriftverkehr beschrieben als „verdienter Mann, der unbedingt in den Besitz der gegenständlichen jüdischen Lederhandlung gelangen soll“. Am 1. Juli 1938 erging das Ansuchen Veverkas betreffend „Arisierung“ des Geschäfts. Am 30. August wurde die „Vorgenehmigung“ durch die NS-Behörden erteilt. Der Kaufpreis wurde mit knapp 48.000 Reichsmark (ca. EUR 180.000) festgesetzt, die Abbezahlung konnte jedoch in monatlichen Raten von je RM 700 erfolgen.

Zum „kommissarischen Verwalter“ der Firma Blüh wurde am 1. Juni 1938 Franz Brunner ernannt. Zweck dieser Funktion war die Sicherstellung jüdischen Vermögens und die „Entjudung“ der Wirtschaft. Brunner erhielt für diese Tätigkeit monatlich 340 Reichsmark aus dem Firmenvermögen Blüh. Am 11. Juli erschien Brunner im Geschäft und nahm die Schlüssel für die Kassa und die Verkaufsräume an sich. Das Konto auf der Postbank wurde aufgelassen und sämtliche jüdischen MitarbeiterInnen entlassen. Davon waren auch Wilhelms Bruder Markus Blüh und sein ältester Sohn Hans betroffen.

Für das Haus Annenstraße 31 interessiert sich wiederum Caroline Plessing, die das Gebäude für ihre Kinder Johann und Rudolfine erwerben möchte. Dabei verweist sie stolz auf die nationalsozialistische Betätigung ihres Sohnes, der bereits seit März 1935 Mitglied der Hitlerjugend und NSDAP war. Gerade in der „Verbotszeit“ hätte sich Johann „immer tadellos einwandfrei verhalten“. Schwester Rudolfine war bereits seit dem Jahr 1934 NSDAP-Mitglied. Nach den Vorstellungen von Mutter Caroline sollte das Geschäft Blüh zur „zukünftigen Existenz von Hans werden“, der achtzehnjährig ein „überzeugter und verlässlicher Nationalsozialist“ sei und bereits als „illegaler HJ-Führer angeklagt“ und „mit 17 Jahren 2 Wochen in Haft“ gewesen wäre.

Am 5. November 1938 erfolgte der Kaufvertrag zwischen Wilhelm und Olga Blüh und den Geschwistern Johann und Rudolfine Plessing, die aber bereits seit Mitte Oktober als EigentümerInnen auftraten. Das Geschäft galt seit 3. Oktober als „arisiert“, wobei der endgültige Verkauf an Veverka mit 17. April 1939 abgeschlossen war. Ab Juni 1940 leitete Gattin Else das „arisierte“ Geschäft, da sich Karl Veverka ab diesem Zeitpunkt „in Diensten der Wehrmacht“ befand.

Bereits am 23. Juli 1938 informierte Wilhelm Blüh den „kommissarischen Verwalter“ Brunner, dass die Familie die Emigration plane. Zu dieser Zeit erhielt Wilhelm gerade noch 650 Reichsmark aus seinem eigenen Vermögen, was für insgesamt acht Personen reichen sollte.

Wilhelm Blüh (c) Roberto Blueh

Wilhelm Blüh
(c) Roberto Blueh

Im Herbst gelang es seinem jüngsten Kind Alfred das Land Richtung Jugoslawien zu verlassen. Wilhelm Blüh dürfte dagegen in Folge der Pogromnacht inhaftiert worden sein, zumindest befand er sich Ende November in „Schutzhaft“ im KZ Dachau. Mitte Dezember wurde er wieder nach Graz zurückgebracht, da man den restlichen Besitz und seine Liegenschaften veräußern wollte. Auch Schwiegersohn Josef Scharfstein befand sich in Haft gemeinsam mit seinem Geschäftspartner und Cousin Jakob Kissmann wegen eines angeblichen „Devisenvergehens“. Nach Übernahme der Haftkaution durch Wilhelm Blüh am 23. Dezember 1938 kam Josef schließlich frei.

Bereits Ende November lagen für Wilhelm und Olga Einreisebewilligungen für Uruguay vor, worauf die NS-Behörden Blüh mit einer „Reichsfluchtsteuer“ von RM 52.041,- belegten. Am 7. Jänner 1939 erfolgte die Übersiedlung von ihrem Haus in der Annenstraße 31 zur Adresse Herrandgasse 14, wo sie bei Oskar Adler wohnten. In den folgenden Wochen dürfte es zur Verhaftung von Ehefrau Olga gekommen sein, da Wilhelm am 1. Februar eine „Bürgerschaftserklärung“ zum Zwecke der Haftentlassung in der Höhe von RM 20.000,- abgeben musste.

Ende desselben Monats befand sich Wilhelm Blühs Name auf der Liste der sog. „Aktion Judenauswanderung aus der Steiermark“. Diese Initiative hatte das Ziel, die Übersiedlung jüdischer BewohnerInnen nach Palästina zu organisieren. Nach Scheitern dieser Unternehmung suchte er am 30. März abermals um Geld für die Emigration aus dem NS-Reichsgebiet an. Einen Tag später meldete sich Olga beim Meldeamt nach Wien ab – Wilhelm hatte sich schon am 13. März in Graz abgemeldet.

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Lebenslauf Wilhelm Blüh Quelle: Familie Blüh

Nachdem Tochter Gertrude und ihrem Mann Josef Scharfstein schon zur Jahreswende die Flucht nach Jugoslawien gelungen war, folgten ihnen Wilhelm und Olga Anfang April. Am 8. April 1939 verfasste Wilhelm Blüh in Zagreb einen Rückblick auf sein Leben, worin zu lesen ist: „Durch den politischen Umschwung im Jahre 1938 verlor ich meine Existenz, wurde gezwungen das Land zu verlassen und bin daher bemüßigt, in einem anderen Lande eine neue Existenz zu finden.“

Mit dem Einmarsch der Wehrmacht am 6. April 1941 in das Königreich Jugoslawien, gelangten die faschistischen Ustascha an die Macht. Zu dieser Zeit befanden sich Tochter Gertrude und Schwiegersohn Josef bereits in Ecuador (Südamerika). Dem ältesten Sohn Hans war die Flucht in die USA und Alfred die Emigration mittels Kindertransports nach Palästina geglückt.

Wilhelm und Olga wurden jedoch ins Lager Jastrebarsko verschleppt, wo sie harte Zwangsarbeit leisten mussten. Die enorme physische Belastung ruinierte Wilhelms Gesundheit nachhaltig. Seine Briefe aus dieser Zeit, die an Olgas Bruder in England adressiert waren, zeugen von großem Kummer, Sorgen und tiefer Bestürzung.

Jastrebarsko gehörte zum Lagerkomplex Jasenovac, wo Inhaftierte auch zu Tode gesteinigt wurden. Aufgrund der militärischen Verdienstorden Wilhelms im Ersten Weltkrieg blieben ihnen Gräuel erspart und auch die Unterbringung war besser als jene der Mithäftlinge. Beiden gelang schließlich im zweiten Versuch die Flucht und sie konnten sich nach Ljubljana (Laibach) durchschlagen. Hier klagte Wilhelm über Brustschmerzen und wurde ins Spital eingeliefert.

Am 7. Dezember 1941, einen Tag bevor die USA in den Zweiten Weltkrieg eintraten, erlag Wilhelm einem Herzinfarkt und verstarb im Krankenhaus. Zu diesem Zeitpunkt wusste er jedoch schon, dass seine Kinder in Sicherheit waren und die Familie überleben würde. Vermutlich hatte er auch schon Kenntnis von der Geburt seines Enkels Denis, den seine Tochter Gertrude im Exil das Leben geschenkt hatte. Olga folgte schließlich ihrer Stieftochter nach Südamerika, wo sich ein Großteil der Blüh-Familie wiederfinden sollte.

Wilhelm Blüh wurde in Ljubljana mittels Feuerbestattung beigesetzt.

Jüdische Opfer



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Josef (José) Scharfstein
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Wilhelm Blüh

Annenstraße 31