Stolperschwelle – Lager Liebenau

EHEM. ‚PUCH-STEG‘ – ‚LAGER V‘ GRAZ LIEBENAU 1940-1945

DIESE – HEUTE VERSETZTE – BRÜCKE MUSSTEN MINDESTENS 5.000 ZWANGSARBEITER*INNEN UND KRIEGSGEFANGENE TÄGLICH AUF DEM WEG VOM ‚LAGER V‘ IN DIE STEYR-DAIMLER-PUCH-FABRIK ÜBERQUEREN

IM APRIL 1945 WAR DAS LAGER ZUDEM ZWISCHENSTATION FÜR ÜBER 5.000 UNGARISCH-JÜDISCHE ZWANGSARBEITER*INNEN AUF DEN TODESMÄRSCHEN INS KZ MAUTHAUSEN

MINDESTENS 34 MENSCHEN WURDEN IM LAGER ERSCHOSSEN, VIELE WEITERE STARBEN AN VERWEIGERTER MEDIZINISCHER VERSORGUNG UND MANGELNDER VERPFLEGUNG

Stolperschwelle Lager Liebenau c: Alexander Danner

Stolperschwelle – Lager Liebenau (©Alexander Danner)


 

Nachdem das ehemalige  Lager Liebenau und die dortigen Geschehnisse im April 1945 lange Zeit komplett aus dem Fokus der Öffentlichkeit verschwunden waren, geriet es in den letzten Jahren – im Zuge der Diskussionen über das nun errichtete Murkraftwerk, bei dessen Bau man auch auf Mauerteile und eine Treppe des ehemaligen Lagers stieß – wieder verstärkt ins Blickfeld.

Während der NS-Zeit war Graz von einem Netz von Lagern überzogen, die der Unterbringung ausländischer Zwangsarbeiter und Kriegsgefangener dienten. Jenes in Liebenau wurde 1940 errichtet, um einen Teil der deutschen Umsiedler – die ihre Heimat aufgrund neuer Grenzziehungen in Folge des Hitler-Stalin-Paktes verlassen mussten – aus der Südbukowina aufzunehmen. Nachdem diese bis Spätherbst Liebenau wieder verlassen hatten, wurde es an die Reichsstatthalterei bzw. die Grazer Verkehrsgesellschaft übergeben, die hier in der Folge Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter aus der Sowjetunion, aus Frankreich und Italien unterbrachten. In den 190 Holzbaracken des in der Ulrich-Lichtenstein-Gasse, südlich der Kirchnerkaserne zwischen Kasernstraße und linkem Murufer gelegenen Lagers, konnten rund 5.000 Personen untergebracht werden. Diese mussten für die deutsche Kriegsproduktion in der Steyr-Daimler-Puch-Fabrik arbeiten – sie wurden ausgebeutet und diskriminiert.

Das Zwangsarbeiterlager Graz-Liebenau während dem 2. Weltkrieg https://imgl.krone.at/scaled/2209851/v0587b8/630x356.jpg

Das Zwangsarbeiterlager Graz-Liebenau während dem 2. Weltkrieg
Quelle: krone.at


 

Anfang April 1945 diente das Lager Liebenau zudem als Zwischenstation der Todesmärsche ungarischer Juden vom „Südostwall“ Richtung Mauthausen und Gunskirchen. War Ungarn bis zum Einmarsch deutscher Truppen im März 1944 trotz antisemitischer Gesetze ein im Vergleich zu den Nachbarländern relativ „sicheres“ Land für die jüdische Bevölkerung, änderte sich dies in der Folge schlagartig. Mit Hilfe der ungarischen Gendarmerie deportierte das „Sondereinsatzkommando der Sicherheitspolizei und des SD“ unter der Leitung von Adolf Eichmann über 430.000 Jüdinnen und Juden nach Ausschwitz. Nachdem Reichsverweser Miklòs Horthy die „Fortsetzung der Juden-Aktion“ im Juli aus außenpolitischen Gründen stoppte, blieben die Budapester Juden, sowie jene, die in der ungarischen Armee ihren Arbeitsdienst verrichten mussten, von den Deportationen verschont. Ab Oktober 1944 mussten ungarisch-jüdische Zwangsarbeiter nun für das Deutsche Reich arbeiten – sie wurden unter unmenschlichen Bedingungen in langen Fußmärschen an die deutsch-ungarische Grenze getrieben und mussten dort an der Errichtung des sogenannten „Südostwalls“, welcher das Vorrücken der Roten Armee auf Graz und Wien stoppen sollte, mitwirken. Als die Rote Armee Ende März 1945 näher rückte, wurden die jüdischen Schanzarbeiter „evakuiert“. Die Begleitmannschaften hatten den Befehl, keinen Häftling lebend in die Hände der Alliierten geraten zu lassen, weshalb „Marschunfähige“, also Erschöpfte und Kranke, erschossen wurden. Aufgrund der Erschießungen und Massaker entlang der Route, wurden diese zu Todesmärschen. Nach verschiedenen Strecken durch die Oststeiermark war das aufgelassene Zwangsarbeiterlager Liebenau eine Zwischenstation und ein Sammelplatz dieser Märsche.

Todesmarsch ungarischer Juden in Hieflau, aufgenommen am 8. oder 9. April 1945 https://image.kurier.at/images/cfs_landscape_616w_347h/2549290/46-108415688.jpg

Todesmarsch ungarischer Juden in Hieflau, aufgenommen am 8. oder 9. April 1945
Quelle: kurier.at


 

7.000 bis 9.000 Personen passieren auf diesem Weg Liebenau. Viele der in den ersten Apriltagen im aufgelassenen Kriegsgefangenenlager angekommenen Zwangsarbeiter waren im höchsten Grad unterernährt und krank. Einige hatten Flecktyphus und wurden zusammen mit den anderen entkräfteten Jüdinnen und Juden in gesonderten Baracken in der Nähe der Mur untergebracht. Laut Zeugenaussagen handelte es sich dabei um 200 bis 240 Personen.

Obwohl die notwendigen Medikamente vorhanden warten, durften diese auf Anweisung der Lagerleitung – Zitat des Lagerleiters Nikolaus Pichler: „Für diese Schweine haben wir keine Medikamente“ – nicht ausgegeben werden. Zudem erhielten die ungarischen Juden kaum und mangelhafte Verpflegung, teilweise mussten sie im Freien nächtigen. Der Lagerleiter forderte den Sanitäter des Lagers, Hans Fugger, auf die Kranken mit Morphiumspritzen zu liquidieren. Als sich dieser weigerte, kam es zu Exekutionen, welche von abends ins Lager gekommenen Gestapobeamten durchgeführt wurden. In den nächsten Tagen kam es wiederholt zu Erschießungen, an denen auch ungarische Pfeilkreuzler, Lagerführer Alois Frühwirt und weitere Personen beteiligt waren. Zudem liegt offenbar eine unmittelbare Verbindung zwischen den Vorfällen in Liebenau und dem großen Verbrechenskomplex rund um die SS-Kaserne Graz-Wetzelsdorf, wo ermordete Zwangsarbeiter in Bombentrichter verscharrt wurden, und den Schießplatz Feliferhof vor.

Spätestens im Oktober 1945 wurde das Kommando der Polizei Graz über ein Massengrab im ehemaligen Zwangsarbeiterlager Graz-Liebenau informiert. Allerdings erfolgten erst im Mai 1947 umfangreiche Exhumierungen, wobei man ursprünglich von etwa 120 bis 150 Todesopfern ausging. Bis Ende Mai 1947 wurden zunächst 53 Leichen entdeckt und exhumiert. Die Exhumierungen erfolgten unter den Augen der britischen Besatzungsmacht, wobei eine aus britischen und österreichischen Polizeioffizieren bestehende Kommission die Erhebungen vor Ort leitete. Für die Grabungen selbst setzte man 20 Häftlinge der Strafanstalt Karlau und des Grazer Landesgerichtes ein.

Die von Univ.-Doz. Max Fossel vom Institut für gerichtliche Medizin der Universität Graz durchgeführte Obduktion dieser 53 Leichen ergab, dass 34 von ihnen im April 1945 erschossen worden waren. Nur einige wenige dürften vor den Erschießungen an Erschöpfung oder Krankheit verstorben sein. 26 Personen waren durch Genickschuss getötet worden; davon acht, als sie bereits in einer Grube lagen. Laut mehreren Zeugenaussagen aus der Zivilbevölkerung sowie einer Aussage des Vorsitzenden des britischen Militärgerichtes Douglas Young, wird eine viel höhere Zahl von Todesopfern vermutet, die bis heute allerdings nicht entdeckt wurden. In Anbetracht des in den bisher zugänglichen Akten und Unterlagen lediglich einmal vorkommenden Hinweises – gemäß der „Neuen Zeit“ abermals durch den Vorsitzenden des britischen Gerichts – ist eine präzische lokale Zuordnung möglicher weiterer Leichenfunde bis dato nicht möglich.

Im Juni 1947 erfolgte die Beisetzung von insgesamt 46 der exhumierten Leichen auf dem Israelitischen Friedhof in Graz; 17 davon waren eindeutig als ungarische Juden identifiziert worden.

Nur wenige Monate nach den Exhumierungen fand im September 1947 der Liebenauer Prozess vor dem britischen Militärgericht statt. Die Anklagen lauteten auf Mord nach §134 des österreichischen Strafgesetzbuches sowie auf Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach dem österreichischen Kriegsverbrechergesetz. Der Prozess endete am 15. Oktober 1947 mit der Verhängung der Todesurteile für den ehemaligen Lagerleiter Pichler und seinen Untergebenen Frühwirt. Lagerpolizist Josef Thorbauer wurden zu einer dreijährigen Haftstrafe verurteilt.

Der Prozess fand einen starken Widerhall in den steirischen und auch überregionalen Tageszeitungen, allen voran „Das Steierblatt“, „Neue Zeit“ und „Die Wahrheit“. Danach gerieten die Opfer der Kriegsverbrechen im Lager Liebenau in der Öffentlichkeit weitestgehend in Vergessenheit.

Liebenauer Prozess 1947 https://www.achtzig.com/wp-content/uploads/2018/11/Liebenauer-Prozess_Mulitmediale-Sammlung_UMJ-Medium-640x453.jpg

Liebenauer Prozess 1947
Quelle: achtzig.com


 

1991 wurden beim Neubau des Kindergartens in der Andersengasse zwei Todesopfer gefunden – weitere Nachforschungen wurden nicht angestellt, allerdings unterblieb in der Folge die geplante Unterkellerung des Gebäudes. Es wird vermutet, dass es weitere Massengräber gibt und es nur eine Frage der Zeit ist, bis man diese Plätze findet – allerdings wurde seit damals nie gezielt danach gesucht und auch die für die Erschießungen verantwortlichen Gestapobeamten sowie die dafür politisch Verantwortlichen wurden nicht vor Gericht gestellt.

Besondere Verdienste um das Andenken der im Lager Liebenau ermordeten Jüdinnen und Juden hat sich in den letzten Jahren die Gedenkinitiative Graz-Liebenau um Rainer und Uschi Possert erworben. Dank Ihrer Hartnäckigkeit und gegen viele Widerstände erreichten sie, dass mittlerweile eine Gedenkstafel errichtet wurde, sich die Wissenschaft in den letzten Jahren vermehrt dem Thema widmete und es Veranstaltungen dazu gab.

Die erste in der Steiermark verlegte Stolperschwelle reiht sich in diese Aktivitäten ein und soll sowohl an die hier während des Krieges festgehaltenen Zwangsarbeiter sowie vor allem an die von den Nationalsozialisten im Lager Liebenau ermordeten Jüdinnen und Juden erinnern.

Verlegungszeremonie 22.10.2020_c_Alexander Danner

Verlegungszeremonie Stolperschwelle am ehem. Lager Liebenau am 22.10.2020 (©Alexander Danner)

Recherche und Text: Mag. Thomas Stoppacher

Quellen: