Ottilie (Odilie) Borges musste als Jüdin ihre Wohnung in der Alberstraße 18 verlassen und lebte ab Jahresende 1939 in einer Sammelwohnung in Wien, Brigittenau. Im Juni 1942 wurde sie in das KZ-Theresienstadt deportiert, am 25. August ins Vernichtungslager Maly Trostinec, wo sie ermordet wurde.
Ottilie Borges wurde am 7. November 1864 in Prag geboren. Verheiratet mit einem Gerichtsvorsteher, der eine Zeitlang in Gröbming tätig war, blieb sie kinderlos und betätigte sich als Hausfrau. Nach dem frühen Tod ihres Mannes verdiente sie sich mit dem Erteilen von Französisch-Sprachunterricht ein kleines Zubrot.
Als Jüdin war sie Ende 1939 gezwungen, ihre Grazer Wohnung in der Alberstraße 18 zu räumen und in eine Wiener Sammelwohnung zu übersiedeln. Vor ihrer Deportation nach Theresienstadt am 28. Juni 1942 galt die Adresse Seegasse 16 in Wien 9 als ihr letzter Aufenthaltsort. Dem Theresienstadt-Totenbuch zufolge wurde Odilie Borges zwar von Wien Richtung Theresienstadt deportiert, dort jedoch nicht als angekommen vermerkt. Am 25. August 1942 erfolgte die Überstellung ins Vernichtungslager Maly Trostinec südöstlich von Minsk, wo Ottilie Borges ermordet wurde.
Brief vom 2. Mai 1942 aus der Sammelwohnung in Wien an ihre Wahlnichte in Graz (gekürzt):
„Liebe, liebe Laura!
[…] ich bin von Zuständen, hauptsächlich unaufhörlichem Weinen heimgesucht, dieser Mangel an Selbstbeherrschung war mir früher unbegreiflich, aber jetzt kenne ich ihn […]. Heute am 1.Mai ist es abscheulich kalt, mit diesem Tage beginnt das vollkommene Verbot von Tramway, Autobus, Stadtbahn und natürlich Taxis, das schon lange besteht, an die Gezeichneten, damit ist jeder Weg ins Freie unmöglich, da bei den großen Entfernungen erst nach längerer Fahrt die Wald- und Wiesengegend beginnt; auch Hauptverkehrsstraßen sind verboten oder dürfen nur gekreuzt werden, ich weiß das noch nicht genau. [Hier] bin ich von Tag zu Tag unglücklicher, […] Ich habe immer Hunger und zwar sofort nach den Mahlzeiten, obwohl diese zwar nicht reichlich sind, aber auch für die Männer genügen müssen, es ist wohl mehr das Nichtstun den ganzen Tag, das einen so gefräßig macht. Außerdem gehen nach 2 1/2 Jahren ohne Möglichkeit von Anschaffungen meine Kleider, hauptsächlich die zu Hause getragenen in Fetzen, […]. Heute am 2. setze ich fort, Wetter prachtvoll, wenn auch kalt, Stimmung derartig, dass ich lieber Schluss machen will. Verzeih mir, wenn ich mich so gehen ließ, und sei mit den Deinen innigst begrüßt.
Tante O.“
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Quellen:
Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes: Personensuche. Abrufbar unter diesem Link.
Brief von Ottilie Borges am 2.5.1942. Quelle: Familie Lauppert.
A letter to the stars. Abrufbar unter diesem Link..