Susanne Spiegel, verh. Philippson

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Familie Spiegel

Die Brüder Otto (Graz, 16. Mai 1886 – Nizza 1943 oder Paris, 17. September 1944 [1]) und Leo Spiegel (Graz, 6. Juni 1890 – Graz, 16. Juli 1963 [2]) wurden in Graz geboren. Ihr Vater Michael Spiegel (Dolina, 15. Mai 1849 – Graz, 27. Januar 1924) stammte aus Dolina in Galizien und betrieb auf dem Grazer Jakominiplatz, Ecke Klosterwiesgasse, ein Möbel- und Bettwarengeschäft [3]. An der selben Adresse wohnte die Familie [4].

Die Einkünfte daraus ermöglichten seinen Söhnen ein gute Ausbildung: Otto wurde Jurist und führte eine Anwaltskanzlei in der Grazer Murgasse 14 [5], eine der angesehensten und größten der Stadt [6].

Der um vier Jahre jüngere Leo wurde Bankbeamter [7]. Weitere Quellen weisen ihn als „Dir. Stellvertreter der Filiale der Zentraleuropäischen Länderbank in Graz“ [8] mit einem Gehalt von 400 Reichsmark (RM) und „Aktivitätszuschlägen“ [9] aus. Mit seiner Frau Friederike (Graz, 20. Februar 1900 – Graz, unbekannt [10]), geborene Lustig, und seiner Tochter Susanne (Graz, 29. Oktober 1925 [11]) bewohnte Leo eine Mietwohnung in der Schmiedgasse 38 [12].

Otto kaufte im Jahr 1924 vom Grafen Lambrecht eine Villa in der Beethovenstraße 17 [13], in die er mit seiner Frau Manka (Graz 21. Juli 1895 – unbekannt [14]) und ihren Zwillingen Peter Felix (Graz 6. November 1919 – unbekannt [15]) und Franz Erich Spiegel (Graz 6. November 1919 – unbekannt [16]) zog.

Die Quellen lassen erahnen, dass Manka der zionistischen Bewegung aufgeschlossen war. Jedenfalls soll sie nach ihrer Scheidung mit den beiden Kindern bereits im Jahr 1935 nach Jerusalem in Palästina ausgewandert sein [17].

Otto Spiegel blieb indessen in Graz und führte weiterhin seine Anwaltskanzlei. Doch bereits einen Tag nach dem „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich, wurde er für längere Zeit verhaftet und zur Emigration gezwungen [18]. Noch im selben Jahr begab sich Otto Spiegel nach Südfrankreich [19], wo er vermutlich in Nizza spätestens 1942 vom Vichy-Regime interniert wurde [20]. Im August/September 1942 wurden in der französischen Südzone über 10.000 Jüdinnen und Juden in Lager interniert, davon fast 1.000 ausländische Jüdinnen und Juden in der Caserne Auvare in Nizza [21].

In die Zeit seines Aufenthalts in Frankreich fiel auch seine Eheschließung mit Mina (geb. Druckmann; Czernowitz in der Bukowina, am 20. März 1906 – unbekannt [22]) und sein Tod, über den widersprüchliche Angaben bestehen [23].

In Graz war noch sein Versuch gescheitert, die Villa in der Beethovenstraße an seinen Freund und Rechtsanwaltskollegen, Dr. Armand Lettich (Triest, 24. September 1889 – unbekannt [24]), in einem Scheingeschäft vor dem Zugriff der Nationalsozialisten zu retten [25]. Dieser Versuch scheiterte nicht zuletzt an dessen fehlender Mitgliedschaft zur NSDAP und der Intervention des damaligen Oberbürgermeisters von Graz und SS-Obersturmführers, Dr. Julius Kasper [26], und der Verkehrsvermögensstelle, die sich dafür einsetzten, dass die Villa einem „verdienten Parteigenossen“ [27] zukommen solle.

Nachdem Otto Spiegel Graz verlassen hatte, sollte sein Bruder Leo die Liegenschaft veräußern. Dieser wurde aber selbst am 30. Mai 1938 in seiner Arbeit gekündigt [28] und am 9. November 1938 während der Novemberpogrome [29] verhaftet. Kurz nach seiner Freilassung verließen Leo Spiegel und seine Familie Graz. Über Venedig und nach einem dreimonatigen Aufenthalt in Menton [30], gelangten sie nach Tel Aviv, wo sie bereits im Mai 1939 gemeinsam mit Friederikes Schwester, Nora Wechsler (Graz, 26. Oktober 1897 – unbekannt [31]) bekundet sind [32]. Aus dieser Zeit stammen Schreiben an die Leitstelle der Kriminalpolizei in Graz, weil eine gewisse Edith Mizzaro 6.000 RM Schulden für Visa für Otto und Leo Spiegel geltend machen wollte [33].

Nach dem Krieg kehrte Leo Spiegel mit seiner Frau aus Tel Aviv nach Graz zurück und erhielt nach einer Vorsprache in Frankreich seine frühere Position in der Länderbank. Leo und Friederike Spiegel wurden auf dem Jüdischen Friedhof beerdigt. Ihre gemeinsame Tochter Susanne, die im 13. Lebensjahr nach Palästina kam, lebt heute in einem Altersheim in Tel Aviv.

Um die Villa in der Beethovenstraße entbrannte nach dem Krieg noch ein Krimi um die Rückgabe an Ottos zweite Frau, Mina. Diese hatte 1948 [34] von ihrem Domizil in Nizza auf Rückstellung geklagt und in einem Teilerkenntnis die Rückgabe erreicht. Das Gericht begründete in ihrem Spruch diesen Schritt damit, dass der Verkauf [35] unfreiwillig geschah [36]. Neben Aussagen von Dr. Armand Lettich und Leo Spiegel fiel auch ins Gewicht, dass beim erzwungenen Verkauf die sogenannte „Entjudungsauflage“ vom Käufer verlangt wurde. Dies spräche dafür, dass der Verkaufspreis unter dem Schätzwert der Liegenschaft angesetzt war. Zudem hatte Otto Spiegel auch auf das gezahlte Geld keinen Zugriff, da es auf einem Sperrkonto lag. Im Gerichtsprozess kam es noch durch Mina Spiegel zu einem Aufrechnen entgangener Einkünfte und durch die Käuferin der Liegenschaft zu einer Aufstellung getaner Investitionen [37]. Erschwerend wirkte sich zudem aus, dass die Villa inzwischen durch die britischen Besatzung konfisziert war und erst bei einem Abzug der Briten der Besitzerin wieder zur Verfügung stünde.

In einem weiteren Richterspruch wurde abgelehnt, dass sich die beiden Söhne aus erster Ehe noch in das Erbe der Villa reklamieren. Ihr Erbrecht erstreckte sich auf den ihnen zustehenden Pflichtteil [38].

 

 

 

 1 Für Otto Spiegel liegen zwei Todesdaten vor: Im Antrag auf Rückstellung nennt Dr. Mina Spiegel Nizza und als Todesjahr 1943, siehe StLA, FLD Graz, Rückstellungsakten, LGZRS-Graz-Rk-532-1948, Antrag auf Rückstellung vom 7.September 1948. Diese Angabe wird durch Susanna Philipson in einem Telefonat vom 8. Juli 2019 mit Daniela Grabe bestätigt. Demgegenüber wird im Steiermärkischen Landesarchiv (StLA, FLD Graz, Rückstellungsakten, LGZRS-Graz-Rk-532-1948, Teil-Erkenntnis: Einantwortungsurkunde vom 21. Juni 1951) und im Österreichisches Staatsarchiv (OeStA/ AdR/ E und Re. Ang./ Abgeltungsfonds 8191) der 17. September 1944 als Todestag und Paris als letzte Meldeadresse genannt.

2 Siehe OeStA/ AdR/ E und Re. Ang./ Abgeltungsfonds 8191: Kopie der Sterbeurkunde. Als letzte Adresse wird der Ruckerlberggürtel 27 in Graz genannt.

3 Telefonat von Daniela Grabe mit Susanne Philipson vom 8. Juli 2019.

4 Seine Frau, Josefine (geb. Kadisch; Graz, 25. Mai 1863 – Graz, 14. Mai 1939) wird dort noch 1938 genannt, siehe OeStA/ AdR/ E und Re. Ang./ VVSt/ VA 47621(Josefine Spiegel geb. Kadisch) . Ihre letzte Wohnadresse war die Jakoministraße 1, Heilanstalt „Maria Hilf“ der Kreuzschwestern, siehe OeStA/ AdR/ E und Re. Ang./Abgeltungsfonds 3788, Einantwortungsurkunde vom 13. Dezember 1939.

5 StLA, FLD-Graz, Arisierungsakt, Vermögensanmeldung 47619 (Otto Spiegel).

6 StLA, FLD-Graz, Rückstellungsakten, LGZRS-Graz-Rk-532-1948, Antrag auf Rückstellung vom 7. September 1948.

7 StLA, FLD-Graz, Arisierungsakt, Vermögensanmeldung 47620 (Leo Spiegel).

8 StLA, „Judenkataster“ (Leo Spiegel)

9 StLA, FLD-Graz, Arisierungsakt, Vermögensanmeldung 47620 (Leo Spiegel).

10 StLA, „Judenkataster“ (Friederike Lustig).

11 StLA, „Judenkataster“ (Susanne Spiegel).

12 StLA, FLD-Graz, Arisierungsakt, Vermögensanmeldung 47622 (Friederike Spiegel).

13 StLA, FLD-Graz, Rückstellungsakten, LGZRS-Graz-Rk-532-1948, Antrag auf Rückstellung vom 7. September 1948.

14 Manka ist die Kurzform für Dr. Marianne Aglar laut StLA, „Judenkataster“ (Marianne Spiegel geb. Aglar); die Eheschließung war am 13. 2. 1913 in Innsbruck erfolgt.

15 Nennt sich in Israel um in Schimon Alroy, siehe OeStA/ AdR/ E und Re. Ang./ Abgeltungsfonds 8191,Notarielle Verzichtserklärung vom 26. Mai 1963.

16 Nennt sich in Israel um in Benjamin, siehe OeStA/ AdR/ E und Re. Ang./ Abgeltungsfonds 8191, Notarielle Verzichtserklärung vom 26. Mai 1963.

17 Telefonat von Daniela Grabe mit Susanne Philipson vom 8. Juli 2019.

18 StLA, FLD-Graz, Rückstellungsakten, LGZRS-Graz-Rk-532-1948, Antrag auf Rückstellung vom 7. 9. 1948: „[…] Österreich Hals über Kopf verlassen […]“; LGZRS-Graz-Rk-532-1948, Verhandlungsprotokoll vom 30. August 1949, Zeugenaussage Leo Spiegel „[…] dass der geschädigte Eigentümer aus Öserreich zu verschwinden habe.“

19 Die Emigration von Otto Spiegel wirft Fragen auf bzw. verläuft über verschiedene Wege. Einer davon führt zu Josef Schleich, dem sogenannten „Judenschlepper“ aus Graz. In einer umfangreichen Publikation zu Josef Schleich fällt auch der Name Otto Spiegels. Es wird berichtet, dass für Otto Spiegel, den Grazer Anwalt Dr. Ludwig Biró , dessen Frau und Kind sowie Marzell Krausz im Zusammenhang mit der Vertreibung der burgenländischen Juden im Juni/Juli 1938 bei HICEM in Agram (Zagreb) interveniert wurde. Es würde sich bei ihnen um „drei ganz hervorragende jüdische Persönlichkeiten“ handeln. Siehe Brunner, Walter: Josef Schleich. „Judenschlepper“ aus Graz 1938-1941. Eine Dokumentation. (Wien 2017) 118. Wie sich diese Intervention seitens der HICEM auf die Flucht von Otto Spiegel nach Frankreich auswirkte, bleibt allerdings unklar.

20 Im Dezember 1939 wird Otto Spiegels Aufenthaltsort mit Hotel Celumene in Nizza, 63 Rue de France, angegeben. Siehe OeStA/ AdR/ E und Re. Ang./ Abgeltungsfonds 3788, Einantwortungsurkunde vom 13. Dezember 1939.

21 Siehe https://www.gedenkorte-europa.eu/content/list/352 /  , abgerufen am 11.September 2019, 13.30.

22 Dr. med. Mina Spiegel; letzte bekannte Adresse in Österreich bis zum 13. März 1938: Währinger Straße 53, 1090 Wien) siehe OeStA/ AdR/ E und Re. Ang./ Abgeltungsfonds 8191 Antragsbogen vom 5. August 1962) 23 Zur unsicheren Datierung seines Ablebens siehe FN 1.

24 StLA, FLD-Graz, Rückstellungsakten, LGZRS-Graz-Rk-532-1948, Verhandlungsprotokoll vom 30. August 1949; Rechtsanwalt in der Neutorgasse 49.

25 StLA, FLD-Graz, Rückstellungsakten, LGZRS-Graz-Rk-532-1948, Verhandlungsprotokoll vom 30. August 1949.

26 StLA, FLD-Graz, Rückstellungsakten, LGZRS-Graz-Rk-532-1948, Antrag auf Rückstellung vom 7. September 1948.

27 StLA, FLD-Graz, Rückstellungsakten, LGZRS-Graz-Rk-532-1948, Verhandlungsprotokoll vom 30. August 1949.

28 StLA, FLD-Graz, Arisierungsakt, Vermögensanmeldung 47620 (Leo Spiegel).

29 Im Zuge der Novemberpogrome wurden in Graz rund 300 Jüdinnen und Juden verhaftet. Die meisten wurden bereits am 11. November 1938 in das KZ Dachau deportiert. Siehe: http://www.doew.at/erinnern/fotos-und dokumente/ 1938-1945/novemberpogrom-1938/steiermar k  , abgerufen am 11. September 2019, 14.00.

30 Telefonat von Daniela Grabe mit Susanne Philipson vom 8. Juli 2019.

31 StLA, „Judenkataster“ (Nora Lustig).

32 Nora Wechsler hatte Graz am 13. November 1938 verlassen; siehe StLA, FLD-Graz, Arisierungsakt, Vermögensanmeldung 47620 (Leo Spiegel), Heft 31, Schreiben an die Leitstelle der Kriminalpolizei Graz vom 22. Juli 1939.

 

33 StLA, FLD-Graz, Arisierungsakt, Vermögensanmeldung 47620 (Leo Spiegel), Heft 31: Schreiben an die Leitstelle der Kriminalpolizei Graz vom 22. Juli 1939.

34 StLA, FLD Graz, Rückstellungsakten, LGZRS-Graz-Rk-532-1948, Antrag auf Rückstellung vom 7. September 1948.

35 StLA, FLD Graz, Arisierungsakt LG 2193, Kaufvertrag vom 20. Juli 1938 mit Dr. Julius und Johanna Keil. Die Villa wird um 35.900 RM verkauft; vgl. StLA, FLD Graz, Rückstellungsakten LGZRS-Graz-Rk-532-1948, Antrag auf Rückstellung vom 7. 9. 1948: Die hier erwähnte Summe von 39.800 RM setzt sich aus dem Kaufpreis von 35.900 RM und der sogenannten Entjudungsauflage von 3.900 RM, die von den Käufern an die Vermögensverkehrsstelle entrichtet werden musste, zusammen.

36 StLA, FLD Graz, Rückstellungsakten, LGZRS-Graz-Rk-532-1948, Teilerkenntnis vom 30. August 1949.

37 StLA, FLD Graz, Rückstellungsakten, LGZRS-Graz-Rk-532-1948, Enderkenntnis vom 18. Januar 1951.

38 StLA, FLD Graz, Rückstellungsakten, LGZRS-Graz-Rk-532-1948, Beschluss vom 11. November 1950.

 

 

Jüdische Opfer



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